Bunter Luftballon mit Hippie-Zombies ?
Tarantino liefert seinen neunten Film und da gibt es wohl nichts zu kritisieren. Oder vielleicht doch?
Pro
Er dauert reichlich zweieinhalb Stunden und es passiert nicht viel in Tarantinos neuem Film. Man schaut Leonardo DiCaprio zu, wie er den Schauspieler Rick Dalton spielt, seinen Alltag eines Hollywood-Schauspielers, der höchstens Mittelklasse ist. Und Brad Pitt als Cliff Booth, Daltons Stuntman, Fahrer, Hausmeister. Wie sie zur Arbeit fahren, stets verkatert der eine, immer stoisch der andere. Während Dalton in der Maske abhängt, sich verkleiden lässt und auf seine Auftritte wartet, richtet Booth die Fernsehantenne auf Daltons Hausdach. Die alten Erfolge wollen störungsfrei gesehen sein. Vom Fernsehen haben sie lange gelebt, Dalton war ein erfolgreicher Serienstar. Jetzt gibt’s nur noch dämliche Schurkenrollen in Kinofilmen und die Tage, bis der Stuntman gehen muss, sind gezählt. Das Männer-Team ergänzt sich gut. Larmoyantes Weichei der eine, Haudrauf der andere. Je männlicher die Männer, desto größer die Hintergrundironie, das macht Tarantino immer so, aber diesmal legt er noch eine Schippe drauf.
Sie wirken so hölzern, die ehemals verwegenen Kerle, im Vergleich zu den fluffigen Erfolgs-Hippies, die den Übergang des alten Hollywoods in die New-Hollywood-Ära einleiten. Und so liebenswert in ihrem zähen Durchhaltenwollen in diesem Gewerbe, immer in dem Bewusstsein, dass die besseren Tage wahrscheinlich schon gelaufen sind. »Once Upon a Time ... in Hollywood« ist vor allem ein Film über die Liebe, die Liebe Tarantinos zum Film; zum Fernsehen und Kino seiner Kindheit. Dieser Film ist schon ein Alterswerk, vergleichbar mit Kurosawas »Akira Kurosawas Dreams« oder dem gerade gestarteten »Leid und Herrlichkeit« von Almodóvar. Er bringt die Leinwand in allen Formaten zum Leuchten, er schwelgt in Bildern und Farben, in Fremd- und Selbstzitaten. Wenn DiCaprio Dalton spielt, hat man seine Rollen von Calvin Candie bis zu Romeo vor Augen. Ja, er ist brillant und hat es doch schwer, Brad Pitts gelbes T-Shirt ist einfach der größere Netzhautreiz, und was bei dem Mann an Bildern mitflimmert, ist nicht zu toppen. Pitt ist einfach ein cooler Hund, der nur langsam von rechts nach links zu gehen braucht, während sich DiCaprio den Arsch abspielt. Und Tarantino, der ist eben auch ein Meister des männlichen Kontrasts.
Frauen kommen diesmal nur als Hippie-Zombies oder Jung-Diven vor. Das hat sicher was mit dem Frauenbild der 1960er Jahre zu tun und Gendergerechtigkeit war eh noch nie ein Schwerpunkt Tarantinos. Humor schon. Er inszeniert Margot Robbie als Hollywood-Schneewittchen in knallweißem Outfit, berauscht von ihrer eigenen Präsenz. Nachher liegt sie mit Schlafbrille im Bett und schnarcht. Nicht zart schnuffelnd, eher wie ein Holzfäller. Frauenfeindlich ist das nicht.
Und wieder einmal korrigiert er die Geschichte. In Tarantinos Welt überlebt Hitler nicht, tolle Schauspielerinnen aber unbedingt. Damit die Leinwand immer weiter strahlt. Dafür dürfen die mordlustigen Hippies auf fröhlich-krude Splatter-Movie-Manier ins Gras beißen. Aua, aber Brutalität ist bei Quentin Tarantino immer konkret-abstrakte Kunst. Show must go on und Sharon darf noch ganz viele Filme drehen. Was für ein abgedrehtes Kinomärchen.
Grit Dora
Contra
Nun ist es also soweit – Quentin Tarantinos mittlerweile neunter Film läuft bei uns im Kino, einer folgt noch. Diesmal pumpt er einen bunten Luftballon mit seinen Kumpels auf, lässt ihn steigen und die ganze Welt staunt. Ein wenig ist es wie mit „Des Kaisers neue Kleider“. Es ist ein großartiger Film, der trotz seiner Länge kaum Langeweile aufkommen lässt und alles bietet, was Kino bieten kann. Der Film besticht durch das Licht, ein so noch nie gesehenes Los Angels der 60-er Jahre, herrlich altmodische weiße Männer und coole, aber völlig unkorrekte Typen. Das alles in großartigen, ruhigen Kameraeinstellungen im klassischen Bildformat Cinemascope, unterbrochen nur von witzigen TV-Schnipseln im Format 2:3. Es scheint einfach wie ein Märchen, aus der Zeit gefallen, dem das 90 Mill. Dollar Budget anzusehen ist. Das einfach verdammt geschmeidig und einzigartig ausschaut.
Was aber will Tarantino uns erzählen? Soll das wirklich nur ein Filmmärchen, abgehoben von Zeit und Raum sein? Klar lassen sich tausende filmische und gesellschaftliche Querverweise finden. Der Meister war fleißig und gibt scheinbar alles. Inhaltlich bleibt es aber recht dünn. Da ist eine alternde männliche Filmdiva - Rick Dalton von Leonardo DiCaprio lustvoll und herrlich übertrieben gespielt –, die den Anschluss verloren hat und viel weint. Dagegen Cliff Booth, sein Mädchen für alles, gespielt vom coolsten Brad Pitt ever. Der hat trotz seiner erbärmlichen Lage alles im Griff und ist für alle Situationen gewappnet. Wirklich großartig spielt das Brad Pitt auf den Punkt. Gefühlt die Hälfte der Zeit darf er durch Los Angeles cruisen und dumpfbackige Hippies quälen. Auch ist Cliff nicht so doof wie jener Polanski, dem das Verhältnis zu einer Minderjährigen ein Verfahren einbrachte und der deswegen nicht mehr in die USA reist. Cliff fragt vorsichtshalber nach dem Ausweis. Und danach, was auf der Ranch los ist.
Letztlich ist es aber etwas wenig. Worauf alle gehofft hatten. Das Trauma Amerikas, der Tod von Sharon Tate und das schlagartige Ende der unschuldigen neuen Bewegung wird nicht thematisiert. Es wird ins Nichts aufgelöst. Der Mord an der schönsten Frau der Welt findet einfach nicht statt. In dieser Märchenvision öffnet aber natürlich eine Gewalttat Rick Dalton das Tor zu den neuen Stars, er kann neue Hoffnung schöpfen. Der coole Brad schlachtet die doofen Hippies und der ganze Saal lacht. So wird aufgeräumt.
Auch der vielfach angemerkte Bezug auf eine Umbruchzeit, vergleichsweise wie heute, ist nicht wirklich zutreffend. Kino und das noch junge Fernsehen sind für alle Brotgeber und Ruhmmaschine, hängen einfach zusammen. Der Mensch lebt vom Brot nicht allein. Bei Tarantino geht es wie gewohnt, jeder gegen jeden, egal ob TV gegen Kino, Darsteller gegen Produzenten, Hippies gegen das System. Wie im klassischen Western eben, das Genre, das alles vorweg nahm. Jeder ist seines Glückes Schmied. Das Kinomärchen als perfekter Gründungsmythos des freiesten Landes der Erde. Ok, Tarantino spiegelt seine Helden auf ihre simple Existenz zurück. Denn auch Glück kann vergänglich sein, der Mensch in seiner Gier und Eifersucht als sein größter Feind. Nur Trost findend in Margaritas oder Gras.
Tarantino hat gesellschaftliche Bezüge maximal angedeutet, Menschen als wandelnde Klischees inszeniert. Aber es ist einfach wunderbar anzuschauen. Ein Wert, für den in der heutigen Zeit einiges spricht. Einfach hinter der Geschichte verstecken, ihren Verlauf neu erfinden, ihre Protagonisten total überzeichnen und jede Menge Spaß haben. Nebenbei wird dem Studio ein einträglicher Film geliefert, Brad und Leonardo können sich Hoffnung auf einen Oscar machen, Tarantino macht sich fit für die Geschichtsbücher und die Zuschauer haben jede Menge Spaß. Besser geht es doch kaum.
Mersaw