23. Dezember 2019

Erst plätschert der Regen

Kritik, Pro & Contra - »A Rainy Day in New York«
Erst plätschert der Regen

Sind neue Filme von Woody Allen heute noch von Relevanz? Die Redaktion des Kinokalender Dresden ist sich uneins.

Pro:

„Allens bester Film seit Jahren!“ ist so ein Standardsatz, den Filmkritiker in den vergangenen Jahren immer irgendwo in ihren Rezensionen zu Woody Allen-Streifen untergebracht haben. Dabei dreht der Mann so viel, dass nur eine Handvoll seiner Arbeiten länger als fünf Jahre im kollektiven Cineastengedächtnis erhalten bleiben und dieses Lob tatsächlich verdienen. Oder erinnert sich noch jemand an »Cassandras Traum« (2007)? »Irrational Man« (2015)? Und wer spielte eigentlich in »Wonder Wheel« (2017) die Hauptrolle? Alle top besetzt, alle ‚typisch Allen‘, alle „endlich wieder Woody in Bestform“.

Diesen Kritiker-Persilschein gab’s für »A Rainy Day in New York« nicht. Einer der Gründe dürften die wiederholten – bisher unbewiesenen – Anschuldigungen gegen Allen sein, er habe seine Adoptivtochter missbraucht. Es sind keine neuen Vorwürfe, was die plötzliche Bekehrung einstiger Allen-Fans etwas seltsam erscheinen lässt. Warum sie das vor der „#MeToo“-Bewegung nicht störte, bleibt ihr Geheimnis.

Wie also umgehen mit dem Werk eines Mannes, der möglicherweise sehr schlimme Dinge getan hat? Kann sein Œuvre unabhängig von eventuellen privaten Verfehlungen bewertet werden? Sollte es überhaupt veröffentlicht werden? Und wie halten wir, die Kinobesucher, es mit dem Grundsatz In dubio pro reo („Im Zweifel für den Angeklagten“)? Etliche Mitwirkende von »A Rainy Day in New York« spendeten ihre Gage für wohltätige Zwecke, das produzierende Studio hingegen cancelte die Veröffentlichung in Amerika ganz.

Ich versuche es mit Variante 1: Der Film spielt die Hauptrolle, alles andere drumherum soll die Wertung nicht beeinflussen. Geht leider komplett schief, da der gute Allen hier ausgerechnet eine Geschichte erzählt, in der eine sehr junge, naiv auftretende Frau (Elle Fanning) gleich von mehreren Männern mal mehr mal weniger offensiv umgarnt wird. Zwei der Kerle sind mehr als doppelt so alt wie sie. Uff! Parallel dazu schlendert ihr Boyfriend (Timothée Chalamet) grübelnd durch die Stadt und trifft dabei auf die Schwester (Selena Gomez) seiner früheren Liebe, die ihm in mehreren Situationen den Kopf gerade rückt.

Viele Dialogszenen, ein wenig Jazz-Geklimper im Hintergrund und unzählige Figuren mit einer leicht angeknacksten Psyche: Willkommen in Allen-World! Eine Welt, bevölkert mit von Selbstzweifeln zerfressenen Männern, und Frauen, die jede für sich ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ob (oberflächlich) naives Dummchen, freches New York-Girl, Edelprostituierte oder Mama mit dunkler Vergangenheit: Sie alle agieren selbstbestimmt, unabhängig und auf eigene Rechnung, während ihre maskulinen Gegenüber scheinbar keine einzige Entscheidung allein fällen können. Das verpackt Allen in eine fluffig-leichte, wunderbar unaufgeregt erzählte Geschichte, die sich mehr und mehr als Dekonstruktion überholter Geschlechterrollen entpuppt. Ein schmerzhaft-amüsantes Kinoerlebnis, je nach dem, von welcher Seite man/frau es betrachtet.

Das macht »A Rainy Day in New York« ganz klar zu Allens bestem Film – zumindest in diesem Jahr.

Csaba Lázár

 

Contra

Eine Stunde und dreiunddreißig Minuten plätschert er vor sich hin, der neue Woody Allen. 

Erst plätschert der Regen, dann übernimmt Timothée Chalamet am Flügel, dann wieder der Regen. Feuchtes New York, pittoreske Straßenecken, Feuerleitern, museale Stufen. Und erst das überpflegte Interieur der kuscheligen Brownstone-Häuser und überhaupt die vielen delikaten Brauntöne der Ausstattung. Luxusansichten, Luxuskörper, Luxusprobleme, Luxusgelaber.

Vordergründig geht es um die Liebe, die zeitlose, weshalb man nur gerade so an einigen Klamotten und den Smartphones erkennen kann, dass dieser Film im New York der Jetztzeit spielt. Ein junges Pärchen, das an einer fiktiven Elite-Uni studiert, will ein romantisches Wochenende verbringen, wobei der junge Mann dem jährlichen großen Empfang seiner Eltern aus dem Weg gehen will, was nicht gelingt und die junge Frau für ihre Uni-Zeitung ein Interview mit einem bekannten Hollywood-Regisseur führen darf, was auch nicht gelingt. Die Frau zieht es in den Film-, den Mann in den Familienstrudel. Am Ende finden sich beide ziemlich bedröppelt wieder, was nicht nur am Regen liegt. Dem Mann gelingt der Absprung, die Frau hat noch nichts verstanden. Woody Allen zeigt immer noch sehr gern sehr junge und sehr naive Frauen in sehr kurzen Röcken. Sein ewiges Alter Ego ist diesmal Chalamet, der im Tweed-Sakko durch New York schlackst, Gatsby heißt (jaha, nomen est omen…) und so gebildet ist, dass er einen groben literarischen Schnitzer seiner Liebsten, deren süße Doofheit er doch so schätzte, zum Anlass nimmt, ihr den Laufpass zu geben. Es kommen noch vor: drei mittelalte Filmschaffende, die dringend eine Muse oder Sex mit einer sehr jungen Frau nötig haben, eine Übermutter, die mal Escort Girl war, und ein Escort Girl, das von der Übermutter rausgeschmissen wird. Die Hauptrolle spielt natürlich New York, und zwar genau so, wie es Woody Allen in einem Großteil seiner 50 Filme immer wieder erschafft. Mal genial, mal besser, mal schlechter, und jetzt … gähn.

Wie groß ist eigentlich der ökologische Fußabdruck eines komplett überflüssigen Films, fragt man sich während des filmischen Plätscherns, weil man so gar nichts findet, was einen Denkanlass böte. Eines Films, der jetzt in Europa gezeigt wird, in den USA aber nicht, wegen der wiederaufgeflammten Missbrauchs-Debatte im Fall Allen. Die mitwirkenden Jungstars haben sich deshalb distanziert und ihr Honorar gespendet, klar, sie haben ihre Karrieren noch vor sich. Jude Law, mittelalt und unabhängig wie er ist, hat sich hinter Allen gestellt. Soviel zur Frontlinie, die dem Film eine Aufmerksamkeit verschafft, die er nicht verdient. 

Grit Dora

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