21. Februar 2023

Alter Mann, dem die Zeit davon läuft

Viel Lob vorab und begeisterte Kritiken – »The Banshees of Inisherin«, Kritik, Pro & Contra
Alter Mann, dem die Zeit davon läuft

Viel Lob vorab und begeisterte Kritiken bereiteten den Kinoeinsatz des neuen Films von Martin McDonagh (»Three Billboards Outside Ebbing, Missouri«) vor. Die Oscarverleihung wird weitere Lorbeeren hinzufügen und alle Beteiligten werden sich an einem der Kinojuwele der Filmsaison erfreuen – die Zuschauer auch? 

 

Pro
Ach Colm Doherty! Seit ewig lebt der Musiker auf Inisherin, seit ewig ist er mit dem schlichten Pádraic befreundet, der sich und seine Schwester mit der Haltung von einigen Tieren durchbringt.

Jeden Tag treffen sich die beiden Männer exakt um 14 Uhr auf ein erstes Bier im Pub. Aber über Nacht, so scheint es, beginnt Colm mit seiner Vergänglichkeit zu hadern. Er will auf Biegen und Brechen etwas Bleibendes hinterlassen, sich nur noch seiner Musik widmen. Auf dem Altar der Altmännereitelkeit opfert er den besten Freund, indem er ihm ohne Angabe von Gründen von einem Tag auf den andern, die Freundschaft entzieht. Sein Anspruch ist so vermessen, dass er, links Mozart, rechts Shakespeare als Schutzheilige, mit blutigen Konsequenzen droht, wenn Pádraic sich nicht an seine Sanktionen hält. Der versteht nur Bahnhof und das hat nichts mit Dummheit zu tun. Colms Grausamkeit ist einfach nicht nachvollziehbar. Die wenigen Inselbewohner geben den Chor für die antike Tramödie, die sich nun entfaltet. Wie ein Hündchen läuft Pádraic hinter Colm her, bittet, um Erklärungen, bettelt und fleht. Es nützt nix. Das erste Blut fließt, die Insel-Banshee Mrs. McCormick kündigt Tode an und das Schicksal nimmt scheinbar unabänderlich seinen Lauf. Pádraic, in seiner Herzensgüte und Friedlichkeit gegenüber Mensch und Tier, wie nach dem Bild des Franz von Assisi gemalt, hält den Verletzungen, die ihm der ehemalige Freund zufügt, erstaunlich lange stand, dann führen Colms verquere Selbst- und Freundbestrafungsaktionen zu einem Tod, der Pádraic im Kern trifft. Er duldet nicht mehr, er schlägt zurück. So mündet die Hybris Colms in eine Gewaltspirale aus der es kein Entrinnen zu geben scheint. Vielleicht hat der alte Mann die etwas stumpfe Zufriedenheit seines Freundes, dessen Demut und Dankbarkeit einfach nicht ausgehalten, weil er selbst dazu nicht in der Lage ist. So treibt er seinen Nächsten, einen wahrhaft friedlichen Menschen in den Krieg. 

Brendan Gleeson und Colin Farrell spielen als Colm und Pádraic groß auf, sichtlich ihre Reunion genießend. Regisseur Martin McDonagh findet für seinen alten Theatertext überzeugende punktgenaue Bilder (Kostüme: Eimer Ní Mhaoldomhnaigh, Setdesign: Michael Standish). Das hyperrealistische, fast märchenhafte Setting sorgt für kammerspielartige Konzentration, den vom Festland herüber dröhnenden Bürgerkriegdetonationen spürt man die Theatergemachtheit an. Diese Kunsthaftigkeit erzählt mehr über Bruder- und Bürgerkrieg als dokumentarischer Realismus. Große Kunst also und nur eins ist schade: McDonagh schielt dermaßen offensichtlich nach dem nächsten Oscar, dass es weh tut. Dabei hat er doch schon einen. Vielleicht kriegt ihn Colin Farrell für seine akrobatische Mimik, er kann aus seinen Augenbrauen ein Dreieck falten. Und ist eh fällig. Vielleicht zeigt er uns den Trick nochmal, wenn er seine Preisrede hält.

Grit Dora


Contra

Viel Lob vorab, begeisterte Kritiken und alle Beteiligten erfreuen sich an einem der Kinojuwele der Filmsaison  – die Zuschauer auch? So genau lässt sich das sicherlich nicht sagen, wir wollen an dieser Stelle neben dem Lob und der Freude über einen außergewöhnlichen Film auch einiges kritisch anmerken.

Die Handlung ist sehr simpel und doch effektiv. Sie geht auf ein gleichnamiges Bühnenstück von Martin McDonagh zurück, dem er später selbst mangelnde Qualität vorwarf. Entstanden ist ein archaisch anmutendes Drama über die Untiefen des menschlichen Seins. Aus einer Freundschaft wird über Nacht Hass, parallel tobt der Bürgerkrieg. 

Das Leben auf der Insel Inisherin vor genau 100 Jahren wird in einer Schlichtheit – oder ist es Armut? – sehr naturalistisch gezeigt. Die Hauptdarsteller, allen voran Colin Farrell als sehr sympathischer aber schlichter Typ Pádraic, der mit seiner Schwester (Kerry Condon) und seinem Esel auf einem Gehöft lebt, überzeugen. Der Dorftrottel Dominic (wunderbar gespielt von Barry Keoghan) erweist sich im Verlauf der Handlung als gar nicht so trottlig. 

Lediglich Brendan Gleeson muss die undankbare Rolle des besten Freundes von Pádraic Colm Doherty übernehmen. Dessen Aufkündigung der Freundschaft und der Androhung der drastischen Konsequenzen bieten für die Rolle kaum Raum zur Entfaltung. Gleeson spielt dennoch gewohnt ausdrucksstark aber wenig überzeugend. Letztlich bleibt ihm nicht viel, als dramatisch zu schauen, die Figur bleibt im Ungefähren. 

Eigentlich agieren nur die beiden Frauen in dieser Aufstellung logisch und menschlich, die Männer sind stumpf und gewalttätig. Großartig die Rolle der Nachbarin Mrs. McCormick (Sheila Flitton) als Banshee, im Volksglauben Irlands ein weiblicher Geist aus der Anderswelt, der „Jenseitigen Welt“, die wie in einer antiken Tragödie auftritt und die Handlung an einigen Stellen kommentiert und mit Voraussagen sehr effektiv beschleunigt.

Die und der geneigte Besucherinn und Besucher werden sich sicherlich fragen, ob sich ein Mann rein anatomisch die im Film geschilderten Verletzungen antun und dabei noch Herr seiner Sinne bleiben kann. (Dem Zuschauer wird dank moderner Tricktechnik auch einiges zugemutet, Brendan Gleesons Hand wird sicherlich unberührt geblieben sein.) Diese Frage nimmt der Geschichte einiges an Plausibilität. Auch bleibt die Schwierigkeit, woher diese plötzlich Radikalität kommt? Den scheinbar selbsterklärenden Beweis liefern der Kanonendonner und die Schüsse vom Festland. Doch erscheint diese Schlussfolgerung zu simpel. Neben all den rein menschlichen Schwächen und Übertreibungen bilden doch immer auch sozialökonomische Probleme die Ursachen für Bürgerkriege und Zerstörung. Genau diesbezüglich wirkt der Film unnötigerweise ungenau. Die Situation der Insel wird realistisch aufgezeigt, ihr fehlt aber jegliche soziale Verortung oder gar Härte. 

Die Menschen scheinen ein einfaches und heiteres Auskommen zu haben, das einfache Glück in Heim und Herd ist unser aller Wert – oder so ähnlich. Gerade die Geschichte Irlands zeigt aber die Komplexität der Ursachen (z.B. die verheerende Hungerkatastrophe 1845 – 49 und der Bürgerkrieg nach 1919). Leider sind es nicht nur die Marotten der Männer und die Nichtakzeptanz der Frauen, die in der Vergangenheit und auch heute in die Katastrophen führt.

Der Filme hängt an einigen Stellen durch, manche Szenen bringen keinen erzählerischen Mehrwert. Eine Straffung wäre hilfreich gewesen. Doch genug des Genöles, trotz aller kritischer Anmerkungen, es bleibt ein außergewöhnlicher Film, der mit erzählerischer Wucht und wunderbaren Darstellern ein nachhaltiges Kinoerlebnis bietet.     

Mersaw

http://www.banshees-film.de