21. Februar 2023

Die Liebe ist so groß wie die Einsamkeit!

Was werden nur die Zuschauer sagen? »Die Frau im Nebel«, Kritik, Pro & Contra
Die Liebe ist so groß wie die Einsamkeit!

Der wütende Junge des südkoreanischen Kinos ist wieder da. Kann er die Zuschauer mit einem neuen cineastischen Meisterwerk begeistern. Unsere Autoren sind da geteilter Meinung.

Pro

Der Kommissar schläft nicht. Seine von Insomnie gepeinigten Augen sind gerötet, den Blick gen Himmel gerichtet, lässt er Augentropfen ins Unterlid rinnen, meist kurz bevor es ans Eingemachte geht. Der künstliche Tränenfilm lässt den Blick verschwimmen und ist nur einer der vielen Nebel, die Polizist Jang Hae-joon (Park Hae-il) auf der Suche nach der Lösung eines Falls, aus dem dann zwei werden, durchstreift. Aufrecht ist er, ehrgeizig, durch und durch der Wahrheit verpflichtet. Regisseur Park Chan-Wook küsst gnadenlos sanft die Figur des einsamen Detektivs wach, die Schneewittchen gleich im gläsernen Sarg des guten alten Hollywoodkinos ruhte und feiert diese Wiederauferstehung in einem atemberaubend eleganten Film noir, der mit einem eher schlichten Fall beginnt: Ein älterer Herr ist von einem Felsen gestürzt, Unfall oder Suizid? Seltsam ungerührt und schon dadurch verdächtig erscheint seine junge Witwe Song Seo-rae (Tang Wei). Der krankhafte Besitzanspruch ihres toten Gatten, der seine sämtlichen Habseligkeiten, inclusive seiner Frau monogrammieren ließ, wäre eine handfestes Tatmotiv. Kommissar Jang Hae-joon nimmt die Spur auf und verstrickt sich in einem feinen Gewirk aus Fakten, Motiven und Gefühlen. Er observiert rund um die Uhr und vernachlässigt seine zauberhaft-prosaische Ingenieursgattin, die in einem etwas ruhigeren vernebelten Städtchen lebt, das den Schauplatz für den zweiten Mord und den Showdown bietet. 

Regisseur Park Chan-Wook, dessen Klassiker »Oldboy« (2003) durch seine krasse Brutalität bis heute nachschauert, überzeugt einmal mehr, aber diesmal unter ganz anderen Prämissen mit der unwiderstehlichen Brillanz seiner Bildsprache. Im Bewusstsein der vollständigen Beherrschung seiner Mittel hat er sich diesmal der Romantik verschrieben. Er verzichtet nicht auf einige krude, genial gefilmte Lieblingsmotive, wie Ameisen auf dem stumpfen Auge des Verstorbenen durch das Auge des Toten gefilmt,  gönnt sich wie stets Abschweifungen und lose Enden und frönt einer nichtlinearen Erzählstruktur, die die anhaltende Konzentration des Publikums fordert. Wobei es das ästhetische Vergnügen keineswegs schmälert, wenn unterwegs kurz oder länger der Überblick verloren geht. Trotz all der formvollendeten Zitate (Hitchcock, Sirk, etc.) schlägt das Herz dieses Films am Puls der Zeit, sein Rhythmus folgt den Wellen des Meeres, dieses kinoaffinsten aller Sehnsuchtsorte. Die Liebe ist so groß wie die Einsamkeit und misst sich an der Intensität der Smartphone-Nachrichten, des ständigen Tippens, des süchtigen Wieder- und Wiederhörens von Sprachaufzeichnungen. Rasend elegant sind Set- und Kostümdesign. Park Chan-Wook benutzt nicht den üblichen Soundhammer, mit dem das zeitgenössische Kino regelmäßig sein Publikum weichklopft. Er punktet mit visueller und inhaltlicher Konsequenz und fast surrealer Detailgenauigkeit. Gefühlvolle, fein komponierte Großaufnahmen kontrastieren mit unfassbar smarten Totalen und verschmelzen mit den Screens der Handys. Zärtlich geleitet der Regisseur seine Figuren durch die Nebel der Ermittlungen und Empfindungen. Die Liebe ist so absolut wie in den Sternstunden des alten Hollywood-Kinos, in denen der unglückliche Ausgang noch erlaubt war. Park Chan-Wook schenkt uns den großen Augenblick zurück.

Grit Dora

 

Contra

Park Chan-wook also mal wieder. Der Liebling der europäischen Kritiker sorgte 2003 mit »Old Boy«, einer wütenden Rachephantasie für Begeisterung, beim 57. Cannes Film Festival bekam er dafür den Grand Prix der Jury. 2016 gab es erneut eine Palme in Cannes für »Die Taschendiebin«, 2022 insgesamt die vierte für »Die Frau im Nebel«. Trotzdem war er so etwas wie der wütende Junge des südkoreanischen Kinos, voller Ideen und cineastischer Wunderteufel. Er gilt als einer der einflussreichsten Filmemacher des zeitgenössischen Kinos Südkoreas.

Mit seinem neusten Film vollzieht er erneut eine Wandlung. Keine expliziten Gewalt- oder Sexszenen, eine asynchrone Erzählweise in Raum und Zeit, eine moderne, technikaffine Kameraführung die schwer beeindruckt und eine Erzähltechnik, die sich an den Klassikern des Genrekinos orientiert. 

Aber warum stellt sich keine rechte Begeisterung ein? Die Geschichte ist raffiniert aber oberflächlich. Die Femme Fatale entpuppt sich letztlich als an der Liebe gescheiterte Heldin, die in der Fremde von den schrulligen Einheimischen immer als anders wahrgenommen wird. Auch die Aufteilung des Film in zwei Teile kann das Dilemma nicht lösen. Der erste Teil gerät zu lang und es tauchen Fragen auf. Soll das jetzt alles gewesen sein? Natürlich nicht und so kommt es im zweiten Teil der Geschichte zu einem Wiedersehen unserer unglücklichen Helden. Doch ach, die Lösung ist einfach, aber zu simpel, selbst für einen Film Noir. Denn in den Klassikern gibt es keine Rettung und auch keine Erlösung. Der einsame Held kann nur die Bösewichter erlegen und die Femme Fatale begehren, das Leben geht aber seinen Gang. Für Kommissar Jang Seo-rae darf es etwas mehr sein aber so ganz klar wird es nicht. Statt einer stringenten Geschichte verhaspelt sich Park Chan-wook ein wenig im Kunsthandwerk. Wunderschöne Szenen interpretieren die Geschichte ständig neu, ohne echten Erkenntnisgewinn. Da wo er ironisch wird, die slapstickartige Szenen der Verfolgungsjagden zum Beispiel, egal ob nach dem verliebten Killer oder den Schildkröten, wird es großartig. Da wird filmisch herausragend erzählt und die Figuren erhalten Kontur und Seele. 

Und überhaupt die Liebe! Die beiden Helden zerfließen letztlich fast vor Sehnsucht. Er, der in seiner Ehre gekränkte Bulle, weil er ein Verbrechen half zu vertuschen und trotzdem unglücklich darbt in seiner Beziehung. Auf der anderen Seite sie, die geheimnisvolle Fremde, die im wahrsten Sinne über Leichen geht. Am Ende können sie aber in ihrem Unglück beide nicht voneinander lassen und das große Finale am Löwenkopfstrand wird zur puren Melancholie. Die Musik intoniert tränengeschwängert ihre traurige Melodie, der Sturm peitscht die Wellen und unerfüllte Sehnsucht flutet die Leinwand. Ganz dolles Kino der Tränen...

Park Chan-wook entpuppt sich als Romantiker und die Zuschauerinnen und Zuschauer verlassen das Kino irgendwie ratlos.

Mersaw

http://die-frau-im-nebel.de/movies/15068?ref=