American Angst – Eine Kritik und kleine Nachbetrachtung zu »Beau Is Afraid«

Es mag sie geben; die Menschen, denen Ari Asters Psychosen Angst einjagen. Ich muss sie knapp verpasst haben, mein Kinobesuch war geprägt von der Angst, allein im Kino zu sitzen. So weit, so passend. Dreht es sich ja bei Beau Wassermann (Joaquin Phoenix) um ein ängstliches Kind, aufgewachsen mit einer toxischen Mutter (Patti LuPone), das als Stadtneurotiker allein in seiner Höhle hockt und dem der Gang zum Therapeuten vorkommt wie die Landung in der Normandie. Auf die Verschreibung eines nicht zugelassenen Medikaments folgen furiose Psychosen, welche, gemeinsam mit dem Helden, gottlob nach 60 Minuten von einem Truck überfahren werden. Ein erlösender Moment. Hing der eine Zuschauer im leeren Saal doch bislang in seinem Sitz, buchstäblich, wie der Mann unter der Badezimmerdecke, dem Beau, in der Wanne liegend, gefühlt eine Ewigkeit, in die Augen starrt, ehe der den Halt verliert, und Beiden droht, gemeinsam in der Wanne zu ertrinken.
Bis zur finalen Angst, dass dein Außenbordmotor beim Jüngsten Gericht explodieren würde, sind es 179 von Ängsten triefende Minuten. Von Ängsten, in einem hellblau bekleckerten Pyjama zu spät zur Beerdigung deiner Mutter zu kommen. Ängsten, die Wohnungsschlüssel gestohlen zu bekommen, nackt vor dem Nackt-Mörder zu fliehen und von einem ängstlichen Cop ob der Nacktheit erschossen zu werden. Verfolgt von Ängsten, der eigentliche Grund deiner Reise, Mutters Geburtstag, könne sich gewandelt haben in Mutters Begräbnis. Weil die Angst, einen Anruf erhalten zu haben, der dir erklärte, Mutters Gesicht sei von einem herabgefallenen Kronleuchter zerstört worden, auch nach dem Truck-Unfall nicht weggeht. Defekte Kreditkarten, tödliche Spinnen oder Penis-Monster - geschenkt! Wer noch nie Angst davor hatte, halbtot in einem pinken Mischtraum aus »Misery« und »Truman Show« zu erwachen, darf sich entspannt im Kinosessel zurücklehnen. Und sich fragen: Falls es eine Angst vor Ängsten gibt, müsste die dann nicht die Aster-Angst heißen?
Es ist nicht überliefert, ob die Story mit den 6 Blocks stimmt, die der 4-jährige Ari Aster quer durch Manhatten gerannt sein soll, weil dem Kind eine Gewaltszene in »Dick Tracy« so zusetzte, aber sie passt hervorragend in das Puzzle, welches hier ausgelegt wird. Mit sicherer Hand und einem Budget von 35 Mio US-Dollar fertigt der 36-jährige Horror-Jünger Aster ein spannend fotografiertes, stellenweise launig dargestelltes und über weite Strecken beängstigendes Abbild seiner..., ja... seiner was eigentlich genau? Seiner bedauernswerten Mitmenschen, seiner gestörten Gesellschaft, und/oder seiner eigenen Urängste? Zu denen auch jene gehört, sich aufgespart zu haben für den religiös sanktionierten Sex nach vollzogener Eheschließung. Der jedoch, erblich bedingt, im Tode endet, weil auch die Vorfahren „bei ihrem ersten Mal“ an Herzschlag starben. Eine diffuse Redundanz stellt sich ein nach ca. 120 Minuten. Bislang funkelten hübsche Miniaturen auf einem immer größer werdenden Haufen aus psychotischen Fäkalien. Großartig waren die Momente, wenn sich zwei Psychosen, wild Hufe scharrend, entschlossen gegenüberstanden. Wie beim Protagonisten, der offenbar Ängste hatte, vom Nachbarn des Nachts Dutzende Drohbriefe unter seiner Zimmertür durchgeschoben zu bekommen. Er möge endlich die Musik leiser machen, niemand im Haus könne schlafen bei dem Krach. Beim entsetzten Beau, der noch nicht einmal eine Musikanlage besaß, wackelten kurz darauf die Wände. Gegen-Musik, die ganze Nacht lang, natürlich lauter als die ursprüngliche. In solchen Momenten erzeugt Asters Film ein tiefes Mitgefühl kranken Menschen gegenüber, die sich mit Psychosen durch ihren Alltag kämpfen. Doch permanentes Ängste-Dropping verkürzt nicht diese Sitzung. Erzeugt auch keine Heilung. Und so wurden die Empathieanfälle von der schieren Last und Länge des Films erstickt.
Zurück blieb die Furcht des Betrachters, er würde ab Minute 147 dem dringenden Wunsch erliegen, diesen Film noch vorm Ende erwürgen zu wollen, Übrigens eine der drei zentralen Angstsäulen hier; erwürge deine Mutter! Die ihren Unfalltod nur vorgetäuscht hatte, um dich bei der Sex-Pointe (die jeder kommen sah) im eigenen Schlafzimmer endlich bloßstellen zu können... American Angst.
Rollo Tomasi
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