5. Mai 2023

Popcorn trifft geschichtsträchtige Wurzeln

Spielbergs große Fabelman-Show ist großes überbordendes Mainstreamkino. Aber mit vielen kleinen intimen Momenten voller Herzenswärme.
Popcorn trifft geschichtsträchtige Wurzeln

Um es gleich auszusprechen: Ich bin kein Spielberg-Fan. Seine Filme habe ich stets gemieden, was ich von ihm kenne, kann ich an einer Hand abzählen: Den wunderbar klamaukigen »1941 - Wo bitte gehts nach Hollywood« (ein Film mit dem unvergesslichen John Belushi, ein Film, der Spielbergs junger Karriere einen leichten Dämpfer versetzte), die ganz alten Indiana-Jones-Whopper und den leichthändig hingetupften »Catch Me If You Can«.  Meine Liste nicht gesehener Spielberg-Filme hingegen ist lang: »Der weiße Hai«, »E. T. – Der Außerirdische«, »Schindlers Liste«, »Der Soldat James Ryan«, der ganze Jurassic-Park-Kram und so weiter. Also all die Kracher, für die Spielberg als Erfinder des Blockbusterkinos gilt. Irgendwie war mir Spielberg immer ein bisschen zu viel: Zu glatt, zu versöhnlich, zu bandbreitig, zu risikoarm, zu unterhaltsam fand ich sein Kino. Mainstream eben. 

Nur neulich brauchte ich für einen Familienkinoabend einen Film, der als kleinster gemeinsamer Nenner funktionieren würde. Das Programmkino meines Vertrauens gibt diesbezüglich nicht viel her, aber im Abendprogramm lief Spielbergs »Die Fabelmans«, eine, wie man jetzt so gerne sagt, autofiktionale Verfilmung. Der im Februar 2023 frisch mit dem Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk ausgezeichnete Regisseur hatte also die Zeit für reif befunden, seine Kindheit und Jugend zu verfilmen. 

Wer das Ergebnis gesehen hat, weiß, dass nach der Werbung und dem Schließen und Öffnen des Kinovorhangs der große Meister höchstselbst auf der Leinwand erscheint und sein Publikum direkt anspricht, es zu seinem Entschluss beglückwünscht, ins Kino gekommen zu sein. Dieser findige Trick, das Publikum durch eine geradlinige und sehr persönliche Ansprache sofort auf seine Seite zu ziehen, legte meine Abwehr komplett lahm und schloss mich auf für diesen „Liebesbrief an das Kino“ (so die Kritiken), diese hingebungsvoll erzählte Familiengeschichte und Coming-of-Age-Story, in der Michelle Williams als Spielbergs Mutter Mitzi alle an die Wand spielt. Paul Dano und Seth Rogen sind die Männer an ihrer Seite, als maximal schräger alter Onkel taucht Judd Hirsch in einer exemplarischen Szene auf, um die Vorzüge und Nachteile einer Künstlerexistenz innerhalb der russisch-jüdischen Traditionen der Fabelman-Familie auf das Anschaulichste zu demonstrieren.

Spielberg lässt ein Urerlebnis des Kinos (»Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat« von 1896), angesichts einer Szene aus Cecil B. DeMilles »Die größte Schau der Welt« (1952) quasi als Subtext auftauchen. Die aufgerissenen Augen von Spielbergs kindlichem Alter Ego angesichts eines inszenierten Zugunglücks spiegeln die Augen des Publikums, das im ausgehenden 19. Jahrhunderts die ersten bewegten Bilder sah. Durch diese staunenden Augen eines Eleven, der das Medium an sich zu reißen gewillt ist, lässt Spielberg seine Zuschauer auf die erstaunlichen Möglichkeiten des Kinos blicken, die er detailversessen vorführt. A »Greatest Show On Earth« zu inszenieren, das scheint Spielbergs Anspruch für jeden seiner Filme, und Cecil B. DeMille ist verantwortlich dafür. Sein neuer Film gipfelt folgerichtig in einer wahnsinnig witzigen Begegnung, nun ja, der dritten Art, zwischen einem anderen Meister der alten Kinoschule und dem Eleven.

»Die Fabelmans« sind großes überbordendes Mainstreamkino, aber mit vielen kleinen intimen Momenten voller Herzenswärme, die eher vom Autorenkino kommen. Eine faszinierende Mischung. Thank you, Mr. Spielberg!

Grit Dora

http://www.upig.de/micro/die-fabelmans