31. Mai 2023

Geteilter roter Himmel

Geschichte eines bedrohlich glühenden Ostseeidylls, eine Kolumne von Grit Dora
Geteilter roter Himmel

Eine Trilogie über die Elemente hat er sich vorgenommen, Christian Petzold, einer der bekanntesten deutschen Filmemacher der Gegenwart. Nach »Undine« (2020), dem Film über das Element Wasser, mit Paula Beer als titelgebender mythischer Gestalt und Franz Rogowski als kongenialem Partner (und Taucher), ist nun das Feuer an der Reihe. Gedreht wurde »Roter Himmel« im waldbrandreichen Sommer 2022, dessen Flammen färben auch die Leinwand. In einem Häuschen auf dem Darß treffen die Freunde Leon (Thomas Schubert) und Felix (Langston Uibel) auf Nadja (wieder Paula Beer), die im nahegelegenen Kurort Eis verkauft und sich einen schönen Sommer macht.

Nachts teilt sie ihr Lager mit Rettungsschwimmer Devid (Enno Trebs), was vor allem Leon bitter aufstößt, der jubilierenden Gegenwartsgenuss nicht aushält, weil er schwer an seinem Romanmanuskript trägt. Sein Lektor hat sich angekündigt und der junge Schriftsteller ahnt, dass sein Entwurf nichts taugt. Bis Helmut (Matthias Brandt) anreist, kontaminiert Leons aufgeblähtes Künstler-Ego die Sommerlaune der anderen mit zäher Verweigerung. Nicht schwimmen, nicht feiern, nicht das lecke Hausdach reparieren. „Die Arbeit lässt das nicht zu.” Dabei ist dieser Leon ein Prokrastinierer vor dem Herrn, unbeholfen und selbstunsicher in all seiner Anmaßung. Thomas Schubert spielt diesen in seiner Eierschale festsitzenden Jüngling wunderbar differenziert und macht so einigermaßen nachvollziehbar, dass Paula die sportliche Herausforderung annimmt, ihn da rauszupolken. Das Quartett mischt sich, es knistert auch zwischen Devid und Felix. Ein Sommeridyll also, überschattet nur vom Dröhnen der Löschflugzeuge, das aber erfolgreich verdrängt wird (Der Wind weht immer vom Wasser!“) und Leons Angst vor dem Ungenügen in der Kunst, mit der er die Nerven der anderen weidlich strapaziert.

Das Eintreffen des Lektor verändert das kippelige Kräftegleichgewicht des Quartetts. Helmut wendet sich allen vier gleichmäßig freundlich zu, Leons Künstlerdünkel bröckelt zusehends. Bei einem Glas Wein wird Heines berühmtes Asra-Gedicht rezitiert, der Sommer funkelt in Heines kunstvoller Zeile vom Lieben und Sterben, der Höhepunkt ist erreicht. Jäher Rhythmuswechsel, Petzold jagt sein Ensemble durch mehrere Katastrophen, eine mit abruptem tödlichem Ausgang, da ploppen Fragen auf:  Ist das jetzt wirklich passiert? Wow, dass man sowas im deutschen Film noch erleben darf. Soviel … Mut zum Tod?
Tut mir leid, deutscher Film, für Dich gilt immer noch ein Spezialmaßstab, Motto: Für einen deutschen Streifen erstaunlich gut. Das muss doch mal aufhören jetzt, also kann bitte mal jemand viel, viel mehr Geld locker machen für die einheimische Filmindustrie? Es geht ja nicht nur um Herrn Petzold, der jedenfalls sein Handwerk versteht…

Sorry für diese Unterbrechung und weiter im Text: Dem letalen Sommer-Finale folgt ein zweites, beherrscht von Leons erfolgreichem neuen Buch und einem weiteren nahen Sterben. Film zu Ende, ein großes Bejahen breitet sich aus: Alles so gut gebaut, lupenreine Dramaturgie, phantastischer Cast und thematisch soviel drin: Kunst, Freundschaft, Liebe, Tod, Klimakatastrophe. Ein schöner Film, ja, und dann noch der charmante Éric-Rohmer-Bezug. Toller Sound, atmosphärisch dichte Bilder, mehr Ostseegefühl war selten im Kino. Dafür gab es auch den Silbernen Bären. Trotzdem stellt sich im Nachgang Unbehagen ein, ob der sauberen Durcherzähltheit, der zwiespaltfreien Darstellung von weiblichem und männlichen Element anhand eines verheerenden Feuers. Gulasch-aufwärmende Musen, die sich erst als Eisverkäuferin tarnen, dann als Literaturwissenschaftlerin entpuppen und am Ende doch den teddybärigen Künstler an die Hand nehmen, das ist freundlich formuliert … klassisch inszeniert. Bisschen sehr 19. Jahrhundert. Wie wird Christian Petzold seine Trilogie beenden, wo will er landen? Wie ist sein Verhältnis zu „The Gegenwart“? Daran wird er sich messen lassen müssen.

Grit Dora

http://roter-himmel.piffl-medien.de