6. September 2023

Barbie – war da was? Kritik, Pro & Contra zu »Barbie«

Der ideale Gesprächsstoff für Feuilleton, Feministen und das gesamte Internet – Pop oder Kulturkampf auf höchstem Niveau?
Barbie – war da was? Kritik, Pro & Contra zu »Barbie«

»Barbie« wurde zum idealen Gesprächsstoff für Feuilleton, Feministen und das gesamte Internet. Aber wird der Pop-Ikonen-Olymp durch Greta Gerwigs Puppen-Interpretation noch femininer oder geht es gar um Kulturkampf auf höchstem Niveau? Unsere Autoren sind da verschiedener Meinung.

 

PRO

Also »Barbie«! Holiday Time, Quality Time, »Barbie«-Time. Ins Programmkino Ost gehen Großmutter, Mutter und Tochter. Die Tochter fragt, warum ins „Ost“ und nicht ins „Cinemaxx“? Weil die Programmkinos auch was vom Hype abhaben sollen, darum. Die Tochter regelt die Outfits: Pinkfarbenes Top, passende Handtasche, fein abgestimmtes Make-up plus Maniküre. Der widerstrebenden Mutter wird rosa Strick aufgenötigt. OMG, Oma kommt in khaki, hat aber Gott sei Dank zartrosa Lippenstift aufgelegt. Einen Ken unseres Vertrauens haben wir nicht dabei, das ist kein Vorsatz, es hat sich nur nicht ergeben. Also Girls Night. Der Kinosaal ist voll. In welchem Jahrzehnt war er das zum letzten Mal? Nach zwei Stunden verlassen wir quietschvergnügt das Gebäude. Jede Generation interpretiert das abrupte Ende anders, wir überraschen uns gegenseitig.

Dass der Hype um die Puppe dermaßen Fahrt aufnehmen würde, war trotz der Besetzung mit Margot Robbie und Ryan Gosling und vor allem der streitbaren Regieposition von Greta Gerwig (»Ladybird« und »Little Women«)  keineswegs absehbar. Der mit »Oppenheimer« abgestimmte Start im Sommerloch, die inszenierte Konkurrenz hat zwar beide Filme kräftig angeschubst. Die eigentlich spannende Frage aber war: Wie würde sich Gerwig, vom Independent-Kino, speziell vom Mumblecore kommend, zum Mainstream-Kino verhalten? Würde sie es jeder und jedem Recht machen und ihre markante Handschrift verleugnen? Oder Kante zeigen und das Publikum verprellen? Die Antwort: Gerwig und ihr grandioses Team balancieren gekonnt auf dem schmalen Grat. »Barbie« ist ein popkulturelles Großereignis. Keine umarmt das Publikum so wie sie. Die prächtige Theatralik ihrer strahlend pinken Welt paart sich mit rhetorischer Brillanz, die Mischung aus kühler Strategie und zugewandter Märchenhaftigkeit geht auf. „Banality“ und „Celebration“! Seit jeher veredelt Pop-Art mit ihrer hochironischen Kunsthaftigkeit Konsumobjekte zu Gegenständen kultureller Zustimmung. Gerwig erweist sich darin als geniale Künstlerin, tappt keinen Augenblick in die Niedlichkeitsfalle und lässt Barbie mit enormer Offenheit und Klarheit durch die Klischees und Geschlechterkampfschauplätze der Gegenwart reisen. Es gibt bei ihr nichts wirklich Verletztes oder Verletzendes. Ob man das bedauerlich findet, ist erwartungsabhängig. Wie facettenreich kann Popcorn-Kino sein? Natürlich entfaltet diese bonbonfarbene Puppen-Odyssee keine kühnen Visionsräume in eine progressivere Welt. 

»Barbie« ist ein phantastisch gelungenes Beispiel unbeirrt entspannter Zeitgenossinnenschaft. Der Pop-Ikonen-Olymp wird durch Greta Gerwigs Puppen-Interpretation noch femininer. Wenn ich Barbie wäre, würde ich mich zwischen Tina Turner und Jeff Koons (oder David Bowie) setzen. Good Company und viel Regenbogenpink machen die Welt zu einem besseren Ort.

Grit Dora

 

Contra

Die Diskussionen zum Klimwandel nerven und das Thema Inflation muss bis nach dem Sommerurlaub warten. Deshalb war »Barbie« der ideale Gesprächsstoff für Feuilleton, Feministen und das gesamte Internet der westlichen Welt! Dagegen war die Hautfarbendebatte zum »Arielle« Realfilm ein feuchter Klecks am Strand des Zeitgeistes. Hier nun geht es um Kulturkampf auf höchstem Niveau! Denn mit der Besetzung: Ryan Gosling, der Hollywood Schöne mit dem Familienvater-Saubermann-Image als Ken und Margot Robbie, die aktuelle Vorzeigefeministin der Kinowelt, als Barbie! Wahnsinn! Dazu noch die anspruchsvoll tätige Greta Gerwig auf dem Regiestuhl – was sollte man davon halten! Nun, es gab dazu schnell eine Gesamtmeinung der Presse und Internetgesellschaft mit Gendersternchenfetish: TOLL! So emanzipiert, so stark, so verrückt würde der Film werden – da war man sich sofort einig... schon vor dem ersten Trailer und erst recht danach. 

 

Und nun? Scheinbar hat mittlerweile jeder zweite Mensch auf Erden den Film gesehen (die erste Milliarde ist eingespielt), »Oppenheimer« gab es dann hinterher auch noch, um sich den Intellekt zu bewahren. Aber was ist das Fazit? 

Amüsant – durchaus. Zumindest am Anfang. Wo es da in Barbieland vieles zu bestaunen und beschmunzeln gibt, wird der Ausflug in die „echte“ Welt zum kurzen Intermezzo, der dann, im letzten Abschnitt, im Klamauk ausläuft und „die Botschaft“ mit dem Holzhammer serviert wird. Abgesehen von den klaffenden Logikbrüchen ist es bei weitem nicht so bissig, verrückt oder gar emanzipatorisch-feministisch, wie nach wie vor im Netz herum geschwurbelt wird. Und bis auf eine Handvoll Berufsempörter (Herren) sind die meisten Männer nach dem Kinobesuch auch nicht verunsichert oder beleidigt. Ganz im Gegenteil, dreht man(n) sich den Spieß um und gibt unter dem Hashtag #kenergy eher Barbies Anhang Ken, supermännlichen Respekt!

Denn 1.: Ohne Ken wäre der Film unglaublich langweilig und tatsächlich nur etwas für 6–14 jährige Mädchen, und 2.: Ken ist ein kuuler Typ! Immerhin schafft er es, in ca. 4 Stunden (oder 15 Filmminuten) ganz Barbieland in ein ranziges Partybuden-Studentenwohnheim mit devoten Damen zu verwandeln. Und selbst, als er am Ende scheitert, bleibt seine Botschaft an die Welt: Es braucht nicht viel zum glücklich sein... ein kühles Mangobier, ein paar Freunde und ein Pferd. Während hingegen Barbies (Margot) diverse Barbiekolleginnen sich offenbar wieder ihren sinnlosen plakativen Jobs widmen wollen: Astronautin am Papphimmel, Ärztin ohne Fachkenntnisse oder Präsidentin, ohne gewählt zu sein. Nur für die Hauptfigur/Puppe ändert sich etwas – sie darf in der echten Welt leben und endlich Tampons kaufen und benutzen. Toll. 

 

Pinselbube 

http://www.warnerbros.de/de-de/filme/barbie