Zum Sterben langweilig - »The Room Next Door«
Es beginn mit einer Signierstunde. Die Schlange am Tisch ist lang, andächtig reichen die Leserinnen der Autorin Ingrid (Juliane Moore) ihr Buchexemplar, beteuern ihre Verehrung. Ansteht auch eine Freundin von Ingrid, die ihr von der schweren Krebserkrankung Marthas (Tilda Swinton), einer gemeinsamen Freundin berichtet. Und so macht sich Ingrid auf den Weg in Marthas Klinik, nicht ahnend, um welchen Dienst ihre todkranke Freundin sie bitten wird: Martha, die Kriegsberichterstatterin will im Augenblick des Todes einen Menschen in ihrer Nähe wissen, im Zimmer nebenan. Sie will den Zeitpunkt selbst bestimmen, eine Todes-Pille aus dem Dark Web liegt dafür bereit.
Ingrid aber, die gerade einen Roman über ihre Angst vor dem Sterben geschrieben hat, ist die denkbar ungeeignetste Person, jemanden in den Tod zu begleiten. Dennoch entscheidet sie sich nach erster Abwehr, Marthas Wunsch zu erfüllen. Die beiden Frauen fahren in ein wenige Stunden von Manhattan entferntes Ferienhaus, um dort gemeinsam Marthas letzte Tage zu verbringen. Das Erkennungszeichen für Marthas Tod, so wird es verabredet, wird Marthas geschlossene Schlafzimmertür sein. Ingrid weiß also nicht, wann Martha ihren Entschluss umsetzt. Und so schaut sie jeden morgen mit bangem Blick zur Tür im ersten Stock hinauf.
Eigentlich ein spannender Plot (nach Sigrid Nunez Bestseller „What are you going through“) mit vielen gewichtigen Themen: Liebe und Freundschaft, Empathie und Trost, Abschied und Tod. Ein Kammerspiel der beiden großen Diven Swinton und Moore, flankiert vom gut gereiften John Turturro, inszeniert von Pedro Almodovar. Alle Zutaten stimmen aber nichts zündet. Dieser Film, mit dem der Spanier sein US-Langfilm-Debüt gibt, ist nahezu ein Fiasko, ein sterbenslangweiliges Debakel, das sich von einem Fernsehfilm nur durch die typische Almodovar-Ästhetik absetzt. Die ausgesuchten, sorgfältig arrangierten Sets, die forcierte Farbigkeit für die der Spanier bekannt ist, machen den Film nicht eine Umdrehung reicher, spitzen nicht zu.
Vielmehr erstarrt der Film in hyperästhetischen Tableaus und Manierismen. In den schicken New Yorker Wohnungen der Protagonistinnen, der rasend ambitionierten Ferienhausarchitektur, die Martha für ihren Suizid gewählt hat, erstarren die beiden großen Schauspielerinnen regelrecht. Hölzerne Dialoge reihen sich aneinander, eine Anhäufung von Klischees, teils schlimme Plattitüden über den Umgang mit dem Krebs, das Sterben und den Tod lösen beim Zuschauen Fremdschämen aus. Ungeschickt zusammengerafft wird Marthas Vergangenheit erzählt, soweit sie noch hart in die Gegenwart reicht: Ihre erste Liebe, das schlechte Verhältnis zu ihrer Tochter, der frühe tragische Tod des Kindsvaters. Die verkitscht in Szene gesetzten, ausnahmslos illustrierenden Rückblenden verleihen der eindimensionalen Handlung keinerlei Tiefenschärfe. Ein wenig Fahrt nimmt der Film im letzten Viertel auf, wenn es um praktische Dinge geht. Wie verhält man sich nach einem begleiteten Freitod gegenüber der Polizei und den Angehörigen, kann man wegen Beihilfe belangt werden, braucht es einen Anwalt? In diesem Momenten gelingt es Juliane Moore spielerische Kraft zu entwickeln. Sie hat ansonsten den undankbareren Part des spiegelnden Gegenübers inne.
Fast durchgehend ruht die Kamera auf Tilda Swinton leidendem, immer wieder eindrucksvollem Antlitz. Pedro Almodovars unverwechselbarer Stil hingegen leuchtet kaum auf. In Venedig gewann »The Room Next Door« im September dennoch den Goldenen Löwen. Entscheidend für die Auszeichnung dürfte eher die lange überfällige Anerkennung von Almodovars Lebenswerk gewesen sein. Sein herausragendes Œuvre können ein, zwei misslungene Filme nicht beschädigen. Trotzdem rasend schade. Bleibt zu hoffen, dass er rasch zu seiner Form zurückfindet. »Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs«, »Fessle mich«, »Leid und Herrlichkeit« - alles ist möglich!
Grit Dora