28. August 2025

Der Glanz der werktätigen Frau, Kolumne »WiIma will mehr«, von Grit Dora

Fritzi Haberlandt lässt den Funken zwischen Knappenrode und Wien überspringen
Der Glanz der werktätigen Frau, Kolumne »WiIma will mehr«, von Grit Dora

Kein Mensch braucht Wilma, ehemalige Maschinistin, Elektrikerin und Brigadeleiterin im Kraftwerk „Sonne“. Die Lausitz ist in den ausgehenden 1990er Jahren am Ende, die Industrieregion platt gemacht, wer konnte zog weg. Als Wilma ihren Job in einem Elektrohandel verliert und ihr ohnehin schon saufender Mann fremd geht, packt sie ihre Arbeitszeugnisse ein und fährt nach Wien. Ein ehemaliger Kollege hat vage eingeladen. Der Kulturschock ist enorm und Wilma erfährt erneut, dass sie nicht gebraucht zu werden scheint.

 

Wahr nimmt sie aber auch die schadhafte Elektrik Wiens, die maroden Steckdosen, die schlabberigen auf Putz verlegten alten Kabel. Sie ist nicht aufgebrochen, um zu scheitern und natürlich weiß die Frau aus der ehemaligen DDR, wie man improvisiert. Mithilfe eines Russen, den sie am Busbahnhof trifft, startet sie auf dem „Handwerkerstrich“ und erobert sich ein kleines Stück Großstadt. Wilma, diese handfeste Frau (und Mutter) lässt sich nicht zum Opfer der Umstände machen, nicht zum abgehalfterten Ossi. Sie verfügt nicht zuletzt durch ihren Werdegang über ein gut geerdetes Selbstvertrauen und wenn eine Situation verzweifelt scheint, hilft sie sich mit dem Biss in eine Spreewaldgurke. Fritzi Haberlandts wunderbar herbes Gesicht, ihren drahtigen Körper, ihre kantigen Bewegungen inszeniert Maren-Kea Freese als Spiegelbild der Lausitzer Landschaft und Bevölkerung. Zäh ist sie, widerständig, aber anpassungsfähig und hat sie starke Wurzeln.

Freeses Film nimmt sich viel Zeit für den Blick auf Wien aus der Perspektive eines Lausitzer „Aliens“ wie auch für den Perspektivwechsel. Mit einem Diavortrag und einem typischen Essen (viel Leinöl inklusive) versucht Wilma den neuen Wiener Freunden ihre Heimat nahezubringen. Trinkfest sind sie alle und der Austausch der Trinksprüche ist ein Fest für sich.

 

Aber Maren-Kea Freeses Film kommt ohne die üblichen Klischees und
Anekdötchen über die ehemalige DDR-Bevölkerung und ohne Befindlichkeiten aus. Die Regie nimmt keine Rücksicht auf aktuelle Sehgewohnheiten, das kann beim Schauen schon mächtig nervös machen. Es passiert nicht viel, es gibt keinen Spannungsbogen, vielmehr ein Verweilen auf prägenden Alltäglichkeiten. Durchhalten lohnt, auch, weil der Film seine Orte oft durch Wilmas Kamerasucher betrachtet. Beim gemeinsamen Blick in ihren Fotoapparat entdeckt man mit ihr die neuen Orte – und die alten Orte neu.

 

 Diese Nähe zur Protagonistin macht, dass der Funke durchweg überspringt, ganz gleich, ob Wilma gerade Wiener Walzer tanzt oder augenzwinkernd auf das Ende der deutsch-sowjetischen Freundschaft anstößt. Wilma will mehr ist weder Komödie noch Selbstfindungsdrama, auch keine Wendegeschichte, sondern ein Blick auf die späten 1990er Jahre, ihre Verwerfungen, die bis in die Gegenwart reichen, aus der Perspektive einer starken Frau.

Grit Dora

 

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