10. November 2012
Pro und Contra »On the Road«

»On the Road – Unterwegs« präsentiert seinem Publikum einiges zum Mögen und Verdammen. So geschehen in der Redaktion des Kinokalender Dresden.
Pro:
Sal Paradise, das Alter Ego Kerouacs, ringt mit seiner Schreibblockade, trinkt, redet, raucht mit seinen schriftstellernden Freunden (phantastisch Tom Sturridge), horcht in sich hinein und wartet auf den Durchbruch zum großen Autor. Er will raus aus Mutters Wohnung, sich die Schwielen an den Händen verdienen, die der Vater kurz vor seinem Tod eingefordert hat. Weil ihm das Zusammenhocken mit seinen intellektuellen Freunden nicht viel weiterhilft, schließt er sich Dean Moriarty (Garrett Hedlund) an. Zwei junge Männer auf der Suche nach dem Leben vor dem Tod. Moriarty weiß, wie Verausgabung geht und wo die schönen Frauen wohnen. (Was Kerouac und Bataille verbindet gehört leider nicht hierher.) Die zwei Fixpunkte im Leben Moriartys sind Camille (Kirsten Dunst) und Marylou (Kristen Stewart). Dann gibt es noch Freunde wie Old Bull Lee. Mit unglaublich sparsamen Mitteln gelingt es Regisseur Walter Salles via Viggor Mortensen William S. Burroughs zu charakterisieren. Auch Burroughs tödlicher Schuss auf seine Frau wird en passant vorweggenommen. Am Ende der Reise durch alle Höhen und Tiefen einer Freundschaft arbeitet der eine wieder an seinem Buch, während der andere nirgendwo ankommen kann oder will.
Wenn man den ganzen »Twilight«-Kram, der vielleicht gar kein Kram ist, nie gesehen hat, darf man von Kristen Stewart in diesem „ernsthaften“ Movie total begeistert sein. Wie überhaupt von Salles viel geschmähtem Film. Man spürt in jeder Einstellung die intensive Recherche auf den Spuren der Beatniks. Walter Salles deutet die Drogen- und Sexexzesse der Beatniks an, aber sein Interesse gilt nicht der Orgie. Er zeigt das Unterwegssein als Weg von A nach B. Wie die einen ankommen und die anderen nicht ankommen können.
Schwer zu glauben, dass Kerouacs Kultbuch so lange als unverfilmbar galt, wenn man diesen Film gesehen hat. Salles hat die kongeniale Bildsprache zum klaren gelassenen Tonfall Kerouacs gefunden. Viele Einstellungen erinnern an Fotografien des großen Walter Evans. Der Film könnte auch »Once Upon a Time in America« heißen. »On the Road – Unterwegs« ist ein Road-Movie im besten Sinn des Wortes.
Grit Dora
Contra:
Spricht es für die Qualität eines Buches, wenn es lange Zeit als „unverfilmbar“ gilt? Stimmt diese These, könnte dies im Umkehrschluss bedeuten, dass Literatur, die schon kurz nach der Veröffentlichung ihr filmisches Äquivalent bekommt, wenig Substanzielles zu bieten hat. Ist natürlich Quatsch (siehe u.a. »Fight Club«), beim Blick aufs aktuelle Kinoprogramm vielleicht jedoch gar nicht so abwegig: Während »Die Wand« (erschienen 1963) nun endlich einen nicht minder faszinierenden Film bekommen hat, sind die Adaptionen der »Twilight«-Bücher (Band eins erschien 2005, der erste Film schon 2008) genau so wie ihre Vorlagen: im besten Fall belanglos.
Vielleicht hat Schauspielerin Kristen Stewart dies mit dazu bewogen, im neuen Werk von Walter Salles mitzuwirken, der sich an die „Beat-Fibel“ einer ganzen Generation heranwagte: Jack Kerouacs »On the Road – Unterwegs« aus dem Jahr 1957. Schließlich durfte sie hier in der Rolle der Marylou, der Ehefrau des Protagonisten Dean Moriarty, all das tun, was im konservativen »Twilight«-Kosmos wahrscheinlich mit Knoblauchessen nicht unter zehn Stunden bestraft würde: So richtig die Sau rauslassen. Während das bei ihrem Schauspielkollegen und Filmgatten Garrett Hedlund ungezwungen und ehrlich wirkt, hat es bei Stewart stets den Anschein, als wolle sie auf Teufel komm raus einfach nur provozieren.
Oder ist es doch die Schuld des Regisseurs? Denn was 1957 skandalös und aufsehenerregend war, ist 50 Jahre später Alltag. Okay, vielleicht nicht die doppelte Befriedigung zweier Männer während man und frau nackend im Auto umherfährt. Wirklich Sensationelles ist in dieser späten Verfilmung allerdings kaum zu entdecken. Mit beinahe stoischer Gleichgültigkeit inszeniert Salles das ständige Auf- und Abfahren auf Landstraßen, das Auf und Ab im Leben seiner Figuren und das Auf und Ab in den Betten, in denen sie je nach Stimmungslage landen. Sie wollen anders sein, rebellieren, auffallen – und sind doch nicht mehr als normale Teenager auf einem Selbstfindungstrip.
Natürlich ist das alles wunderbar recherchiert, stimmen die Sets, bewegt die Musik, macht es Spaß, endlich mal wieder so viele Menschen so hemmungslos auf der Leinwand rauchen zu sehen. Wer zudem Garrett Hedlund, Sam Riley, Amy Adams, Kirsten Dunst, Terrence Howard und Viggo Mortensen selbst für kleine Nebenrollen gewinnen kann, braucht sich keine Sorgen um Glaubhaftigkeit und Szenen voller darstellerischer Magie zu machen. Gerade Hedlund wirkt teilweise „entrückt“, vollkommen in seiner Rolle gefangen und derart energiegeladen, dass nie Zweifel an seinem Drang aufkommen, die Welt – und die Schlafzimmer fremder Frauen – immer wieder neu entdecken zu wollen. Beeindruckend! Gleichwohl: Was »On the Road – Unterwegs« fehlt, ist das gewisse Etwas, um aus dem Roadmovie einen Film zu machen, der hineinzieht in eine Zeit des Umbruchs, in der frecher Bebop die stocksteife Nachkriegszeit herausforderte. Rebellion? Gern und jederzeit – aber wogegen?
Über weite Strecken bleibt »On the Road – Unterwegs« somit mehr Behauptung statt wirkliche Provokation, ein fabelhaft anzusehendes und ausgestattetes Zeitdokument, dem es jedoch an Außergewöhnlichem mangelt. Aber vielleicht war Regisseur Walter Salles auch einfach nur zu spät dran.
Csaba Lázár
Pro:
Sal Paradise, das Alter Ego Kerouacs, ringt mit seiner Schreibblockade, trinkt, redet, raucht mit seinen schriftstellernden Freunden (phantastisch Tom Sturridge), horcht in sich hinein und wartet auf den Durchbruch zum großen Autor. Er will raus aus Mutters Wohnung, sich die Schwielen an den Händen verdienen, die der Vater kurz vor seinem Tod eingefordert hat. Weil ihm das Zusammenhocken mit seinen intellektuellen Freunden nicht viel weiterhilft, schließt er sich Dean Moriarty (Garrett Hedlund) an. Zwei junge Männer auf der Suche nach dem Leben vor dem Tod. Moriarty weiß, wie Verausgabung geht und wo die schönen Frauen wohnen. (Was Kerouac und Bataille verbindet gehört leider nicht hierher.) Die zwei Fixpunkte im Leben Moriartys sind Camille (Kirsten Dunst) und Marylou (Kristen Stewart). Dann gibt es noch Freunde wie Old Bull Lee. Mit unglaublich sparsamen Mitteln gelingt es Regisseur Walter Salles via Viggor Mortensen William S. Burroughs zu charakterisieren. Auch Burroughs tödlicher Schuss auf seine Frau wird en passant vorweggenommen. Am Ende der Reise durch alle Höhen und Tiefen einer Freundschaft arbeitet der eine wieder an seinem Buch, während der andere nirgendwo ankommen kann oder will.
Wenn man den ganzen »Twilight«-Kram, der vielleicht gar kein Kram ist, nie gesehen hat, darf man von Kristen Stewart in diesem „ernsthaften“ Movie total begeistert sein. Wie überhaupt von Salles viel geschmähtem Film. Man spürt in jeder Einstellung die intensive Recherche auf den Spuren der Beatniks. Walter Salles deutet die Drogen- und Sexexzesse der Beatniks an, aber sein Interesse gilt nicht der Orgie. Er zeigt das Unterwegssein als Weg von A nach B. Wie die einen ankommen und die anderen nicht ankommen können.
Schwer zu glauben, dass Kerouacs Kultbuch so lange als unverfilmbar galt, wenn man diesen Film gesehen hat. Salles hat die kongeniale Bildsprache zum klaren gelassenen Tonfall Kerouacs gefunden. Viele Einstellungen erinnern an Fotografien des großen Walter Evans. Der Film könnte auch »Once Upon a Time in America« heißen. »On the Road – Unterwegs« ist ein Road-Movie im besten Sinn des Wortes.
Grit Dora
Contra:
Spricht es für die Qualität eines Buches, wenn es lange Zeit als „unverfilmbar“ gilt? Stimmt diese These, könnte dies im Umkehrschluss bedeuten, dass Literatur, die schon kurz nach der Veröffentlichung ihr filmisches Äquivalent bekommt, wenig Substanzielles zu bieten hat. Ist natürlich Quatsch (siehe u.a. »Fight Club«), beim Blick aufs aktuelle Kinoprogramm vielleicht jedoch gar nicht so abwegig: Während »Die Wand« (erschienen 1963) nun endlich einen nicht minder faszinierenden Film bekommen hat, sind die Adaptionen der »Twilight«-Bücher (Band eins erschien 2005, der erste Film schon 2008) genau so wie ihre Vorlagen: im besten Fall belanglos.
Vielleicht hat Schauspielerin Kristen Stewart dies mit dazu bewogen, im neuen Werk von Walter Salles mitzuwirken, der sich an die „Beat-Fibel“ einer ganzen Generation heranwagte: Jack Kerouacs »On the Road – Unterwegs« aus dem Jahr 1957. Schließlich durfte sie hier in der Rolle der Marylou, der Ehefrau des Protagonisten Dean Moriarty, all das tun, was im konservativen »Twilight«-Kosmos wahrscheinlich mit Knoblauchessen nicht unter zehn Stunden bestraft würde: So richtig die Sau rauslassen. Während das bei ihrem Schauspielkollegen und Filmgatten Garrett Hedlund ungezwungen und ehrlich wirkt, hat es bei Stewart stets den Anschein, als wolle sie auf Teufel komm raus einfach nur provozieren.
Oder ist es doch die Schuld des Regisseurs? Denn was 1957 skandalös und aufsehenerregend war, ist 50 Jahre später Alltag. Okay, vielleicht nicht die doppelte Befriedigung zweier Männer während man und frau nackend im Auto umherfährt. Wirklich Sensationelles ist in dieser späten Verfilmung allerdings kaum zu entdecken. Mit beinahe stoischer Gleichgültigkeit inszeniert Salles das ständige Auf- und Abfahren auf Landstraßen, das Auf und Ab im Leben seiner Figuren und das Auf und Ab in den Betten, in denen sie je nach Stimmungslage landen. Sie wollen anders sein, rebellieren, auffallen – und sind doch nicht mehr als normale Teenager auf einem Selbstfindungstrip.
Natürlich ist das alles wunderbar recherchiert, stimmen die Sets, bewegt die Musik, macht es Spaß, endlich mal wieder so viele Menschen so hemmungslos auf der Leinwand rauchen zu sehen. Wer zudem Garrett Hedlund, Sam Riley, Amy Adams, Kirsten Dunst, Terrence Howard und Viggo Mortensen selbst für kleine Nebenrollen gewinnen kann, braucht sich keine Sorgen um Glaubhaftigkeit und Szenen voller darstellerischer Magie zu machen. Gerade Hedlund wirkt teilweise „entrückt“, vollkommen in seiner Rolle gefangen und derart energiegeladen, dass nie Zweifel an seinem Drang aufkommen, die Welt – und die Schlafzimmer fremder Frauen – immer wieder neu entdecken zu wollen. Beeindruckend! Gleichwohl: Was »On the Road – Unterwegs« fehlt, ist das gewisse Etwas, um aus dem Roadmovie einen Film zu machen, der hineinzieht in eine Zeit des Umbruchs, in der frecher Bebop die stocksteife Nachkriegszeit herausforderte. Rebellion? Gern und jederzeit – aber wogegen?
Über weite Strecken bleibt »On the Road – Unterwegs« somit mehr Behauptung statt wirkliche Provokation, ein fabelhaft anzusehendes und ausgestattetes Zeitdokument, dem es jedoch an Außergewöhnlichem mangelt. Aber vielleicht war Regisseur Walter Salles auch einfach nur zu spät dran.
Csaba Lázár
http://www.unterwegs-derfilm.de
