30. Januar 2014

Pro & Contra – »Das erstaunliche Leben des Walter Mitty«

Schüchterne Bürosklaven & etwas Herzschmerz
Pro & Contra – »Das erstaunliche Leben des Walter Mitty«
Das Plakat zum Film verspricht einen "über die Wolken spazierenden" Ben Stiller. Die Redaktion des Kinokalender Dresden folgt ihm gern auf dieser Reise – zumindest teilweise.

Pro:
Es soll ja sogar unter den regelmäßigen Kinogängern jene geben, die »Das erstaunliche Leben des Walter Mitty« für Ben Stillers erste Regiearbeit halten – und dementsprechend überrascht nach zwei wunderbaren Filmstunden den dunklen Saal verlassen. Tatsächlich nahm der 48-Jährige für die Tragikomödie bereits zum fünften Mal auf dem Regiestuhl Platz. Nach seinem erfrischenden Debüt über die so genannte Generation X, »Reality Bites – Voll das Leben« (1994), folgten drei gute, aber nicht überragende Filmchen, bevor Stiller nun vor und hinter der Kamera zum Gipfelstürmer wird: »Walter Mitty« ist pure Kinomagie, fernab des üblichen Stiller-Humors, dafür vollgepackt mit Melancholie, stillen Momenten voller Freude und ein wenig Satire auf das Leben als Großstadtgewächs im digitalen Zeitalter.

Einem schüchternen Bürosklaven dabei zuzusehen, wie er die Schönheit der Welt und seines Lebens entdeckt, und dabei langsam mit seiner heimlich angeschmachteten Kollegin anbandelt, mag inhaltlich keine Offenbarung sein. Zu häufig hat das Kino der vergangenen 100 Jahre die Geschichte des unscheinbaren Helden, der sein Schneckenhaus verlassen muss und quasi wiedergeboren wird, bereits erzählt. Zum Beispiel 1947 mit »Das Doppelleben des Herrn Mitty«. Statt jedoch wie im Vorgänger die Hauptfigur tollpatschig von einem Abenteuer ins nächste zu jagen, macht Stiller seinen Mitty zu einem sympathischen Durchschnittsmann, der weder spleenig noch sozial inkompetent daherkommt. Zwar träumt er häufiger mal vor sich hin, als Identifikationsfigur eignet er sich aber allemal.

Seine Reise, die der Redakteur (Stiller) auf der Suche nach dem Fotografen Sean O’Connell (Sean Penn) und eines seiner Bilder antritt, führt Mitty an die unterschiedlichsten Orte. Dass einer davon Afghanistan ist, kann kein Zufall sein: Der gebürtige Amerikaner Stiller nutzt diese Episode, um einerseits die Einfachheit nonverbaler Kommunikation mit der ansässigen Bevölkerung zu verdeutlichen, andererseits um bei seiner Rückkehr in die USA das übertriebene und völlig absurde Verhalten der Sicherheitskräfte amüsant zu kommentieren. Ein erwartbarer, aber gelungener Gag in einem ansonsten mit viel subtilem Humor gespickten Film. Dabei beweist Regisseur Stiller eine gute Beobachtungsgabe für Alltägliches, sei es der widerspenstige PC zu Hause, das Auftreten überheblicher Chefs im Büro oder verkorkste Annäherungsversuche bei Kollegen. Unvermittelt zwischengeschnittene Traumsequenzen, bei denen die Beteiligten jeglicher Schwerkraft trotzen und ganze Straßenzüge in Schutt und Asche legen, darf man zudem gern als augenzwinkernden Wink Richtung Comicverfilmungen verstehen. Hier ist Stiller ganz im »Tropic Thunder«-Modus und empfiehlt sich für den Regieposten von »Iron Man 15«.

Abseits davon bleibt »Walter Mitty« jedoch dem ruhigen Erzählfluss verbunden und begleitet den Protagonisten auf ein Abenteuer mit vielen Bilderbuchpanoramen, glücklicherweise ohne sich dabei in ein verkitschtes »Die Welt ist so schön«-Esoterik-Filmchen zu verwandeln. Der Fokus bleibt stets auf den Menschen, die trotz ihrer Eigenheiten (Stichwort: Schwester) nie vorgeführt werden. In einer ‚gewöhnlichen‘ Ben-Stiller-Komödie wären diese Exoten ganz sicher schlechter weggekommen.

Am Ende gibt »Walter Mitty« seinem Publikum sogar noch ein paar Denkanstöße mit auf den Heimweg. Nein, nicht das zu erwartende „Entdecke Dein wahres, inneres Ich!“ oder „Raus in die Natur mit Dir!“. Vielmehr war es die Aufforderung des Fotografen(!) Sean, die zumindest bei mir zustimmendes Nicken hervorrief: Denn auch er hält es für ein Unding unserer Zeit, jeden schönen Augenblick sofort mit einer Kamera festhalten zu müssen. Warum nicht mal einen Moment mit den eigenen Augen genießen, statt gleich den Auslöser einer Kamera zu drücken, in der Hoffnung, das Erlebte für immer festhalten zu können? Gilt übrigens auch für »Das erstaunliche Leben des Walter Mitty«: Keine Lobhudelei der Welt kann diese unterhaltsamen Kinostunden angemessen beschreiben. Also am besten selber erleben gehen!

Csaba Lázár


Contra

»Das erstaunliche Leben von Walter Mitty« ist eine herzerwärmende Geschichte darüber, dass man alles im Leben erreichen kann und kein Weg zu weit ist, kein Ziel zu fern, keine Geschichte zu unglaubwürdig.

Oder?

Ich mochte den Film sehr gern, gerade zum Jahresbeginn hilft so ein Film, das eigene Leben noch ein bisschen zu überdenken. Die wundervollen Bilder von fernen Ländern, die Abenteuerlust, der Mut, sich neue Dinge zu trauen - das alles könnte einem helfen, das Jahr ebenso zu gestalten. Das ist ja auch die Message des Films: Geh aus dir heraus, überschreite Grenzen, trau dich was! Ob es nun aus einem Helikopter springen, mit Haien kämpfen oder die Kollegen nach einem Date fragen ist.

Neben der tollen Musik, den wirklich wunderschönen Bildern und den gut gespielten Rollen gibt es dennoch einige Kritikpunkte. Fangen wir doch mal mit der typischen amerikanischen Liebesgeschichte an. Der Film basiert ja auf der Kurzgeschichte von John Thurber aus dem Jahr 1939 - in dieser hatte Mr. Walter Mitty eine Mrs. Mitty und musste keine Liebesgeschichte durchstehen. Warum wurde also eine eingebaut? Damit Mitty einen Grund hat zu zeigen was er kann? Jemanden, der ihn überredet, doch einfach loszugehen? Das müsste keine Frau sein, das hätte ebenso seine Mutter, seine Schwester, sein Vater (durch eine Botschaft, wie mit dem Reisetagebuch) oder auch sein bester Freund sein können. Aber nein, seine Motivation bekommt er hauptsächlich von Cheryl, der netten Kollegin, für die er schwärmt. Typisch Hollywood, ein bisschen "awww" und ein bisschen Herzschmerz muss immer mit rein.

Wenn wir schon einmal beim Buch sind, die Kurzgeschichte war wirklich nur ein weit entferntes Vorbild für den Film. Bis auf Name und "verschwindet in Gedankenwelten" bleibt fast gar nichts mehr übrig. Wäre wahrscheinlich auch zu langweilig, wenn keine große abenteuerliche Geschichte, Liebe und Schicksale mit drin wären. Und trotz all dieser nervenaufreibenden Dinge, die Mitty im Laufe des Filmes erlebt, erleben die Zuschauer zwar tolle Bilder und krasse Aktionen, aber kaum sich verändernde Emotionen. Wo bleibt die Charakterentwicklung? Springt man echt einmal aus einem Heli, um fast von Haien gefressen zu werden und ist dann plötzlich ein ganz anderer Mensch? Wo bleibt die Emotionalität? Man kauft es Mitty fast nicht ab, dass ihn all das wirklich anhebt, nachdem er eine kleine Ewigkeit im Negativ-Labor saß und niemals rauskam. Man kauft ihm auch kaum seine eigentlich frühere Reiselust ab, die durch Rucksack und Reisetagebuch impliziert werden. Die einzigen Emotionen, die der Zuschauer erfährt, kommen durch die hervorragend eingespeiste musikalische Untermalung.

Dass Mitty öfter mal in seiner Gedankenwelt ist, erfahren wir in einigen sehr spektakulären und offensichtlich unrealistischen Szenen. Doch auch die echte Welt scheint ein bisschen "Phantasmus" abbekommen zu haben. Sean O`Connor, der Fotograf, der auf einem Flugzeug stehend in eine Vulkanwolke fliegt. Mitty, der mitten im Himalayagebirge sehr guten Handyempfang hat. Dass eine Fahrt von Grönland nach Island nur eine Nacht dauert. Dass ein guter Fotograf sein teures Equipment einfach auf einem Berg stehen lässt, nur um Fußball spielen zu gehen - all das sind Dinge, die sehr, sehr unglaublich wirken. Doch dann stellt sich auch die Frage: Will der Film überhaupt Anspruch auf Realismus erheben?

Vielleicht nicht. Denn Mitty hat keinen gut bezahlten Job und steht auch kurz davor, diesen zu verlieren. Trotzdem gibt er scheinbar massig Geld für eine Reise nach Grönland, in den Jemen und nach Afghanistan aus. Natürlich will der normalsterbliche Zuschauer keinen Film über finanzielle Schwierigkeiten sehen - Das erstaunliche Leben des Walter Mitty soll eine Komödie sein, ein Feel-Good-Movie mit ein bisschen Gefühl und sehr viel Abenteuerlust. Nicht mehr und nicht weniger.

Anne

http://www.waltermitty-derfilm.de