6. März 2025

Es ist eine fremde und seltsame Welt

Zum Tod von David Lynch
Es ist eine fremde und seltsame Welt

Liebe Freunde des orthographisch-grammatikalischen Stepptanzes, nach schaffensbedingter Klausur trieb mich dann doch der eminente Anlass und vor allem der Anruf von Herrn Krabbe dazu, längst vergessene Buchstaben meiner Tastatur zu rayanimieren. Es ist eine fremde und seltsame Welt. Nie war ein Satz so treffend wie gerade in unseren heutigen Tagen. Fremd und seltsam aber auch prägend war für mich meine erste filmische Begegnung mit David Lynchs »Blue Velvet« im frühsommerlichen Endstadium der DDR 1989 in der Dachgeschosswohnung meines Freundes Wolf Götz Richter auf der Görlitzer Straße 34.

Der große Bruder eines anderen Freundes, der den vortrefflichen Namen Adrian von Weiss trug, hatte uns seinen Videorekorder geliehen und Annerose Micklich brachte einen Westfarbfernseher der Marke Sony mit ins Rennen. Die wenigen Besitzer eines Videorekordes, ein Gebrauchter kostete im A&V immerhin rund 10.000 Ostmark, waren gleichzeitig in einem internen Videoring, dessen Content so die Runde machte und nun bei uns in der Dresdner Neustadt gelandet war. Das verhielt sich dann wie bei Forrest Gumps Pralinenschachtel, man wusste nie, was man bekam. Aber eines war sicher, unter dem ganzen Actionschrott und den obligatorischen Herrenfilmen befanden sich zuweilen immer wieder Perlen der Filmgeschichte. »Blue Velvet« war einer davon, der mir völlig neue Sichtweisen auf die Filmkunst, Kameraarbeit, Dramaturgie und auf die „Dinge des Lebens“ selbst offenbarte.

In etwa Vergleichbares hatte ich zuletzt bei Bunuel wie »Dieses obskure Objekt der Begierde« oder Fellinis »Amarcord« gesehen. Bei Lynch wirkte es aber oft auch durch die zeitliche Nähe der Werke um so verstörender. Bei wem liegen schon Ohren in der Wiese, während Hans-Jürgen beim Sprengen der Selbigen einen Herzkasper erleidet. Erst nach der Wende ging es für mich mit »Der Elefantenmensch« und dem drei Jahre zuvor erschienen »Eraserhead« weiter. Vor allem »Eraserhead« waren ein zutiefst paralysierender Film. So etwas kannte ich nur aus meinen schrecklichsten Träumen, von denen man glaubte, so etwas filmisch nicht wagen und umsetzen zu können. Doch Lynch machte da genau weiter, mit bizarren Begegnungen, unvorhergesehenen Ereignissen und dem Grauen der Banalitäten. Lynch brach mit klassischen Erzählstrukturen, indem er Zeit und Raum auf den Kopf stellte.

Erst nach seinem Tod schaute ich mir noch einmal »Mullholland Drive« an, den ich letztes Mal vor einer Ewigkeit gesehen und damals wahrscheinlich zu viele Brüllsetten eingeatmet hatte, da mir dann doch ein paar Sachen neu vorkamen, was dem neuerlichen Erleben natürlich keinen Abbruch tat. Auch hier wieder eine und unbedingt erwähnenswerte epochale Soundgestaltung, die den Bildern jedes Mal noch einmal eine ganz extreme beunruhigende Stimmung verleiht. Lange war mir auch nicht bekannt, dass David Lynch selbst auch großartige, zumeist elektronische Musik komponierte und auf Tonträger veröffentlichte.

Sehr ans Herz zu legen wäre da »The Big Dream« von 2013. Trotzdem ich diesen Mann sehr verehre, muss ich zu meiner Schande gestehen, und Asche auf mein nichtrauchendes Haupt, dass ich immer noch nicht »Twin Peaks« angesehen habe, was womöglich daran liegt, dass ich nicht so ein Freund der Serie bin und lieber innerhalb von 1,5 bis zwei Stunden über den Inhalt informiert werden möchte. Also David, sorry und danke für Deine Inspirationen und großartige Kunst. Ich verneige mich. 

Dein Fan Ray van Zeschau

 

P.S. Im Übrigen, dass er zufälligerweise Rammstein für »Lost Highway« entdeckt und so deren internationalen Durchbruch einleitete, wie damals gern kolportiert wurde, stellte sich später als cleverer Marketingschachzug von Motor Music heraus, die sich schlichtweg in die Filmproduktion eingekauft hatten, wie mir mal ein nicht ganz unbekannter Labelboss verriet. Knick knack. ;-)

Foto © Ray van Zeschau