9. Januar 2025

Wir wollen Echtheit. Detailverliebtheit. Rohe Emotionen.

Kolumne zu »Wicked« von Anne
Wir wollen Echtheit. Detailverliebtheit. Rohe Emotionen.

Vorne weg: Ja, ich mag Musicals. Ja, ich höre oft Musical-Musik, auch wenn ich die Stücke (noch) nicht live gesehen habe. Man könnte sagen, ich bin ein kleiner Musical-Nerd. Ich denke jedoch nicht, dass man das sein muss, um »Wicked« toll zu finden. 

Erst 2019 saß ich in einem Londoner Musical Theatre und ließ mich von »Wicked« live überwältigen. Und ehrlich gesagt gibt es kein anderes Wort als „überwältigend“ für dieses Gefühl, das man hat, wenn man „No one mourns the wicked“ live - und vor allem laut - hört. Ebenso trifft es „überwältigend“ auch nur ansatzweise bei „Defying Gravity“. Aber ich bin auch eine Person, der Musik besonders viel Emotionen entlockt. 

Als es nun hieß, »Wicked« würde verfilmt werden, wollte ich erst einmal keine zu großen Hoffnungen haben. Zu viele Enttäuschungen in der Vergangenheit (I’m looking at you »Cats« und »Dear Evan Hansen«). Doch dann, so ganz langsam, stieg mein Hype-o-Meter in Höhen, in denen man einen Besen zum Gravity defyen braucht. Ariana Granda als Galinda, Cynthia Erivo als Elphaba, Jonathan Bailey als Fiyero! Zusätzlich noch Jeff Goldblum und Michelle Yeoh? Hold my Hexenhut, I’m seated!

Den Inhalt muss ich, denke ich, nicht erzählen. Wer den Inhalt nicht kennt, sollte auf dem schnellstmöglichen Weg ins Kino gehen (und nicht über Los gehen und keine 400 Mark einziehen!). Doch es ist wichtig zu sagen, dass »Wicked« nur Part 1 ist. Es ergibt für mich vollkommen Sinn, den Cut des ersten Parts nach dem Höhepunkt „Defying Gravity“ zu setzen, schließlich ist da im Musical auch die Pause. Zuschauer:innen müssen sich erst einmal erholen. Da muss wieder Luft in die Lunge, das Herz muss wieder beginnen zu schlagen, die Augen müssen getrocknet werden. Emotionen müssen verarbeitet werden. Aber gut, ein ganzes Jahr bis Part 2 hätte es von mir aus nicht sein müssen…

Wer es bisher noch nicht gecheckt hat: Ich LIEBE »Wicked« - ich liebe einfach alles daran. Das Casting ist mehr als gut. Die Songs sind grandios. Regisseur Jon M. Chu hat wirklich alles gegeben. Und was ich ihm hoch anrechne: Er hat darauf bestanden alle Sets wirklich zu bauen. Von kompletten Einrichtungen in Shiz University, über den Zug nach Emerald City bis hin zu den 9 Millionen Tulpen, die extra gepflanzt wurden. Jon M. Chu versteht, was wir wollen. Wir wollen keine Green Screens mit Schauspieler:innen die mit Tennisbällen reden (looking at you Marvel). Wir wollen Echtheit. Detailverliebtheit. Rohe Emotionen. Zugegebenermaßen geht mir das ein bisschen zu weit, wenn ich mir anschaue, dass viel auf Tageslicht gesetzt wurde und dadurch viele Shots einfach backlit sind. Aaaaaaaber - über so etwas kann ich hinweg sehen, denn es mindert mein Sehvergnügen nicht im Geringsten. 

Ich glaube, ich (und vor allem das Internet) werde noch lange damit beschäftigt sein, die kleinen Easter Eggs und Bedeutungen herauszufinden und Details zu sichten. Ein paar meiner Favoriten nach dem ersten Sehen: In den ersten Sekunden des Films sieht man Dorothy und Co auf der Yellow Brick Road, es gibt ein „Twisted Tornado Tournament“ in Shiz, der Titelscreen des Films referenziert den Titel des 1939 Films „Der Zauberer von Oz“, wenn Elphaba „The Wizard and I“ singt, ist sie bei buntem Glas, das ihre Haut kurzzeitig von Grün auf Braun wechselt - wodurch die ganze Story von Elphaba noch mehr Echtheit erlangt, die unausweichlichen aber unglaublich tollen Cameos in Emerald City, das Foreshadowing in den Songs von Elphaba und dem Wizard. Ich könnte die Liste ewig lang ausführen.

Das Casting ist so gut, ich glaube, niemand sonst hätte den Figuren auf der Leinwand dieses Leben einhauchen können. Ariana Grande, die scheinbar geboren wurde, um Galinda zu spielen, singt nicht nur sehr gut, sie geht auch komplett in der Rolle auf. So verschwindet Ariana Grande, der Popstar, und nur noch Galinda bleibt, vollkommen, witzig und liebenswert - und tragisch. Jonathan Bailey (bekannt vor allem aus Bridgerton und Fellow Travellers) hat einfach Chemistry mit allem und jedem (inklusive dem Löwenbaby). Kein Wunder! Auch wenn mir die Bücher in der Shiz Bibliothek leid getan haben - wer möchte nicht von ihm betanzt werden? 

Cynthia Erivo ist eine Göttin. Nicht nur ihre Stimme, auch ihre schauspielerische Leistung sind nicht von dieser Welt. Als sie ihren „Leap of Faith“-Moment hat (ähnlich wie Miles Morales in »Into the Spider-verse«), blieb mir die Luft weg und ich saß mit offenem Mund im Kinosessel. 

Man merkt die 2 Stunden und 40 Minuten GAR nicht - und ich hätte auch direkt noch mal 2 Stunden und 40 weitere Minuten da sitzen können, nur um das Ganze direkt noch mal zu erleben. (Schließlich hatte ich an gewissen Stellen Tränen in den Augen und verpasste dadurch was!).

 

525.600 Minuten dauert es, bis Teil 2 in den Kinos startet. (Ja, diese Zahl weiß ich auswendig durch das Musical »Rent«.) Die Zeit werde ich mir mit dem Soundtrack, weiteren Kinobesuchen und später der BluRay-Version verschönern. Zusätzlich gibt es noch das Ursprungswerk: zum Einen „Der Zauberer von Oz“ von L. Frank Baum (daher übrigens auch der Name Elphaba) und zum Anderen das Buch „Wicked“ von Gregory Maguire - auf dem das Broadway Musical basiert. Aber Achtung: Es basiert LOSE auf dem Buch. Bitte bitte, gebt es nicht euren Kindern! Das ist definitiv nicht jugendfrei. Ansonsten bin ich die, die durch die Stadt rennt und entweder „Dancing through Life“ oder „What is this Feeling“ singt. Bis nächstes Jahr, Elphaba!

Anne

https://www.upig.de/micro/wicked