Gewalttätig, glitzernd, grandios
Ein mexikanischer Kartellboss sehnt sich danach, eine Frau zu werden. Um seinen Plan umzusetzen, kauft er für zwei Millionen Dollar eine Anwältin, die einen Arzt ausfindig macht, der die Operation durchzuführen bereit ist, inszeniert seinen eigenen Tod und lässt seine Ehefrau und seine zwei Kinder in die Schweiz ausfliegen.
Die Krassheit der Behauptung, der heftige Kontrast zwischen mexikanischem Machismo und selbstbestimmter Weiblichkeit haben Regisseur Jacques Audiard nicht gereicht. Er setzt noch eins drauf und überfrachtet diesen irren, unfassbar unglaubwürdig wirkenden Plot mit maximaler Themendichte, verbindet mexikanische Kartellkriminalität und Korruption mit der Geschichte eines Transitionsprozesses, fokussiert auf das Drama einer Familie, um den Blick dann auf die unzähligen Opfer der jahrzehntelangen Drogenkriege zu weiten und gipfelt in einem klassischen, die Leinwand verzehrenden Showdown. Und das alles als Musical erzählt, gesungen, getanzt. Gedreht nicht an Originalschauplätzen, sondern im französischen Studio. Solch ein Projekt klingt wie ein todsicherer Missgriff, verdammt zu unfreiwilliger Komik und Platzierung bestenfalls in der B-Movie-Abteilung.
Passiert ist nun aber ein seltenes Kinowunder: Audiard und sein Team haben aus den disparaten, ausufernden Zutaten ein phantastisches Melodrama gebaut, einen herzerwärmenden Gangsterfilm, großes Kino für die große Leinwand. Angstfrei spielen sie mit Pulp- und Camp-Elementen, verschmelzen Operette und Musikvideo, immer gut gebunden von einer straffen Musical-Struktur. Teils wird geradezu unheimlich differenziert gespielt, teils werden die Botschaften plakativ bis zur Oberflächlichkeit in Andrew-Lloyd-Webber-Manier durchdekliniert. Das funktioniert gut, auch weil die Tanz- und Gesangseinlagen erstaunlich organisch in die reinen Schauspielszenen eingebettet sind, weich fährt die Kamera hinein und hinaus, die Übergängen sind nie steif, immer fließend (Kamera: Paul Guilhaume, Schnitt: Juliette Welfling).
Und Jacques Audiard (»The Sisters Brothers«, »Der Geschmack von Rost und Knochen«) hat bei der Besetzung keine Kompromisse gemacht: Er hat gewartet, bis Zoë Saldaña Zeit zum Drehen hatte, konnte Selena Gomez gewinnen und fand mit der spanischen Schauspielerin Karla Sofía Gascón eine Transfrau, die in der Doppelrolle des Drogenbaron Manitas („das Händchen“) del Monte und der neu erschaffenen Emilia Pérez absolut überzeugt. Abgründig und brutal ist sie als Mann, emphatisch und glamourös als Frau. Und bleibt zwiespältig. Hinter Emilias zunehmender Wärme spürt man stets den gefährlichen Hauch der Vergangenheit.
Zoë Saldaña (»Guardian Of The Galaxy«) überrascht nicht nur mit ihrer bloßen Anwesenheit in einem europäischen, im weitesten Sinne Arthouse-Film. Sie spielt unwiderstehlich eindringlich die ambitionierte, kluge Anwältin Rita Moro Castro, die ihr Geld damit verdient, Mörder zu verteidigen, Verbrechen zu vertuschen. Eine Frau, die permanent ihre eigenen moralischen Ansprüche verrät, der man ansieht, was sie das kostet, eine Frau, deren Selbstverachtung noch getriggert wird durch ihre Diskriminierung - sie darf ihren weißen männlichen Kollegen nur die Steilvorlagen für deren schillernde Prozessauftritte liefern, wenn es glamourös wird, steht sie nicht auf der Bühne, sondern im Abseits. Das ändert sich auch nicht durch ihre Nähe und Beinahe-Freundschaft zu Manitas/Emilia - Rita, die Anwältin bleibt auch mit zwei Millionen im Gepäck die ehrgeizige, überanstrengte Frau, die in ihrem eigenen Leben nicht ankommt, weil sie die Bürde ihres schweren Aufstiegs ebenso wenig abstreifen wie ihre Skrupel loswerden kann. Und so schält sich als das eigentliche Thema dieses erstaunlichen Films eine Frage heraus: Sind wir imstande, auch unser Wesen zu verändern, wenn wir die Mittel haben, unserem Leben aktiv eine andere Richtung zu geben?
Grit Dora