Hart und zart - Brady Corbets Monumentaldrama »Der Brutalist«

Dieser Film will monumental sein. Die epische Länge (drei Stunden und fünfunddreißig Minuten mit Pause), die Verwendung des seit Mitte der 1960er Jahre nur noch für Spezialeffekte verwendeten Vistavision-Formates, bei dem die Fläche zweier klassischer Frames für ein Bild verwendet und somit die doppelte Bandmenge verarbeitet wird und das ambitionierte Architekturprojekt, um das die Hauptfigur über Jahrzehnte ringt, weisen überdeutlich darauf hin. Damit nicht genug, Regisseur Brady Corbet und seine Drehbuch-Coautorin Mona Fastvold packen eine Unmenge Themen in ihren Plot: Die Einwanderungsgeschichte eines jüdischen Paares, das den Holocaust überlebt hat, die Schatten der Vergangenheit, die sich in physischer und psychischer Gebrechlichkeit äußern, den Alltags-Antisemitismus in den USA der 1950er Jahre, den Anpassungsdruck allenthalben. Gekoppelt mit der Erzählung des unauflöslichen Widerspruchs zwischen Besitzenden, die sich ob ihrer halbbewussten Defizite gönnerhaft, erratisch und aggressiv verhalten (was dem Film eine besonders aktuelle Brisanz verleiht) und Besitzlosen, denen ihr Können und ihre Konsequenz Stolz und Würde verleihen.
Obwohl das alles mit einem sehr männlichen Maximalismus quasi in bester Hollywood-Tradition erzählt wird, schaffen es Brady Corbet und sein Kameramann Lol Crawley, diesen Monumentalanspruch auf der Bildebene eins zu eins vorzuführen und gleichzeitig zu dekonstruieren. Die Unmassen an Beton, die der (fiktive) Bauhaus-Architekt László Tóth auf dem Anwesen seines ambivalenten Gönners Harrison Lee Van Buren verbaut, das Kohleschippen, bevor er an diesen Auftrag kommt, der finstere Untergrund des Schiffes, aus dem er in Ellis Island an Land geht, sämtliche brachiale Bilder des ersten Teils münden in einen fragilen Moment: Der Aufnahme eines überladenen Güterzuges, winzig anzuschauen und fast ätherisch hinter dem Qualm seiner Dampflok in der Weite der Landschaft. Die Vielschichtigkeit dieses Sonderzuges, dessen Unfall den nächsten Bruch in Tóths Biografie markiert, ist frappierend und Corbet gelingt nach diesem Höhepunkt noch ein weiterer. Der Schauplatz wechselt nach Europa, der Auftraggeber und sein Architekt streifen auf der Suche nach dem idealen Marmorbrocken durch die Steinbrüche von Carrara, die Kamera ist ganz nah dran am lichten Material, dessen schlichter Schönheit. Ein Fest folgt, dann kippt die Szene in gewalttätige schwarze Nacht. Es folgen Verdrängung, Weitermachen, Selbstzerstörung und - Überleben.
Corbet verknüpft das Einzelschicksal exemplarisch mit den großen Brüchen des 20. Jahrhunderts und stellt Links zu gegenwärtigen Verwerfungen her. Man kann Adrien Brodys herzzerreißendes Spiel pathetisch finden, aber auch er zieht zuverlässig eine zweite Ebene ein, die seinen Charakter mit großer Widersprüchlichkeit ausstattet. Trotz ihrer vergleichsweise wenigen Auftritte gelingt es Felicity Jones Tóths Ehefrau Erzsébet als starke, glaubwürdige und moderne Figur zu etablieren, die stets – auch in ihrer Abwesenheit – mehr ist als die Frau an der Seite eines herausragenden Künstlers. Und der viel zu wenig wertgeschätzte Guy Pearce spielt den so geschmacks- wie letztlich selbstunsicheren Millionär van Buren facettenreich bis in die letzte Pore: verständnisinnig, aalglatt, destruktiv, bösartig.
Messen lässt sich dieser Film, der so vielschichtig ist wie sein Titel und in jeder Hinsicht auf der Höhe der Zeit, gut an einem alten Filmkunstwerk: Sergio Leones 40 Jahre älterem Epos »Es war einmal in Amerika«.
Grit Dora