Ein weiterer Ritter von der traurigen Gestalt?
Tom Cruises immerhin sechster Einsatz als Geheimagent hinterlässt in der Redaktion des Kinokalender Dresden ein geteiltes Echo.
„Meilenstein“ ist keine leichtfertig gewählte Formulierung. Oder ist es nun mal Kintopp. Und da darf auch an den Weihnachtsmann geglaubt werden.
Was ist großartig? Was stört?
Pro:
September 1997: Mein 17-jähriges Ich rennt nach Schulschluss mal wieder ins Kino. Nachmittagsvorstellung von »Im Körper des Feindes (Face/Off)«, dem neuen Film von John Woo mit John Travolta und Nicolas Cage in den Hauptrollen. Eine der damals veröffentlichten Rezensionen fasste den Actionfilm folgendermaßen zusammen: „Travolta und Cage gehen Mano-a-Mano – und die Zuschauer drückt’s in die Sitze.“ Und genau das war es auch – ein zweieinhalbstündiges Dauerfeuer an Stunts und Twists, das beim Publikum Schnappatmung verursachte. Nur ein Jahr zuvor hatte Tom Cruise alias Ethan Hunt seine erste unmögliche Mission überstanden. Dass die fünfte(!) Fortsetzung nun, 22 Jahre später, einen ähnlichen Meilenstein des Actionkinos wie einst »Face/Off« präsentieren würde, hätte damals wohl keiner erwartet.
Nein, „Meilenstein“ ist keine leichtfertig gewählte Formulierung. Denn was Cruise, Regisseur Christopher McQuarrie und ihr Team hier auf Zelluloid gebannt haben, hat es in dieser Intensität und Waghalsigkeit noch nicht gegeben. Man kann es nicht oft genug wiederholen: die Stunts sind echt. Kein digitales Aufpolieren. Keine Green-Screen-Wand in einem Produktionsstudio, vor dem eine Hubschrauber-Attrappe hin- und hergeschüttelt wurde. Kein Cruise-Ersatzmann, der an dessen Stelle dem Verkehr am Pariser Arc de Triomphe entgegenfuhr. Wer es nicht glauben will, findet im Internet problemlos genug Aufnahmen der Dreharbeiten, die das bestätigen.
»Mission: Impossible – Fallout« ist nicht deswegen meisterhaft. Denn McQuarrie, der überdies das Drehbuch verfasste, konstruiert Drumherum eine zwar typische, aber keinesfalls substanzlose Agentenstory. Waren etliche Stunts im Vorgängerfilm »Rogue Nation«, den er ebenso inszenierte, noch reiner Selbstzweck und für den Verlauf völlig unerheblich – erinnert sei an die völlig verrückte Eröffnungssequenz mit Cruise an einem Flugzeug hängend –, so sind sie hier fest in die Geschichte eingebunden. Ob Superagent Hunt sie lebend übersteht, ist zudem keinesfalls sicher. »Fallout« begeistert mit einer neuen Härte, die es so in den anderen Teilen noch nicht gab.
Offenbar nicht zufällig: McQuarrie verriet unlängst in einem Interview, dass ein weitaus düstrerer Subplot geplant war, von dem im Endschnitt nur noch wenige Szenen zu sehen sind. Was hingegen geblieben ist, sind sehr viel mehr Szenen mit Hunts Teamkollegen, die – auch das eine erfreuliche Weiterentwicklung zum Vorgänger – in die Mission involviert sind und die Handlung beeinflussen. Denn selbst wenn er in den vergangenen Jahren ein wenig Gewicht zugelegt hat: Ving Rhames ist ein toller Schauspieler, der seinen Charakteren auch emotional Gewicht verleihen kann, so man ihn denn lässt.
147 Minuten Vollgas – Hunts britischer Agentenkollege Bond war in seinen letzten beiden Einsätzen »Skyfall« und »Spectre« ähnlich lang unterwegs, um die Welt und seine Lieben zu retten. Qualitativ allerdings weniger überzeugend. Für Bettgeschichten, einen geschüttelten Martini und perfekt sitzende Anzüge mag er immer noch die Nummer eins sein. Hauptberuflich allerdings hat ihm Ethan Hunt spätestens mit »Fallout« endgültig den Rang abgelaufen.
Csaba Lázár
Contra
Was soll man da schon Kritisches sagen. Bei diesem Leinwandgewitter, das Christopher McQuarrie, der vor zwanzig Jahren mit seinem verschachtelten Plot von »Die üblichen Verdächtigen« für Erstaunen sorgte, da mit Ethan Hunt brachial entfacht. Ethan, traditionell gespielt von unser aller Tom Cruise, stets nett und um das Schicksal nicht nur aller Millionen bedrohten Menschen sondern auch eines jeden einzelnen besorgt. Und es darf auch gelacht und geschmunzelt werden. Den geneigten Zuschauer/-innen erwarten 148 Minuten beste Leinwandunterhaltung, die gefühlt nie langweilig werden oder zu einem Blick auf die Uhr verführen.
Natürlich werden sensible Seelen die fehlende Tiefenzeichnung der Charaktere und die völlige Abwesenheit sozialer Problemfelder anmerken. Doch die werden vermutlich mit diesem Film auch nicht angesprochen. Für Freunde der härteren Unterhaltung fehlen die richtig schwarzen Elemente und krasse Gewaltdarstellung. Aber wahrscheinlich ist es gerade das, was den Film auszeichnet.
Was fehlte aber nun diesem perfekt und zielgruppenkompatibel produzierten Film? Ein wenig mehr Gefühl. Ethan darf nicht wirklich ankommen. Er kommt ein wenig daher wie ein Ritter von der traurigen Gestalt, seine Dame ist unerreichbar. Vielleicht ist es das, was dem ganz großen Publikum fehlt. Schade auch, Alec Baldwin verlässt ziemlich lieblos und fies die Szene. Oder mit Gegenspieler August Walker (Henry Cavill) schien ein passabler Gegenspieler zu Hunt gefunden, schwups muss er den Set verlassen. Gut, es bleibt für die Zukunft besetzungstechnisch spannend, aber die Wermutstropfen bleiben.
Was stört? Die ständigen Wendungen, neudeutsch Twists in der Geschichte machen anfänglich noch Spaß, dann verliert der aufmerksame Zuseher aber den Überblick, alles geht irgendwie und irgendwer schießt auf irgendwen. Lediglich die Apostel unter der bewährten Leitung von Solomon Lane (Sean Harris) bleiben eine Konstante und führen zum großen Finale in die Ausläufer des Himalaya. Leider verlässt auch die etwas lang geratene Hubschrauberverfolgung am Ende unsere physikalische Welt, liefert aber schöne Bilder des Himalaya.
Teils an die Grenze der Parodie geraten manche Dialoge, z. B. der von Luther (Ving Rhames) mit Ilsa (Rebecca Ferguson) über Ethans frühere Frau. Wer erinnert sich eigentlich noch an Ving Rhames Darstellung des Gangsterboss Marsellus Wallace in »Pulp Fiction«, insbesondere die Szene mit Butch im Keller des Ladenbesitzers? Warum erreichen moderne Actionfilme nicht annähernd die Komplexität des Drehbuchs von Tarantino und Roger Avary?
Klar können die Abwesenheit von tieferer Logik und die überzeichnete finale Punktlandung kritisiert werden. Es ist nun mal Kintopp. Und da darf auch an den Weihnachtsmann geglaubt werden. Denn dass der CIA letztendlich alles aufklärt und sauber macht, das können die Bewohner der freien Welt getrost vergessen.
Unterm Strich, so muss man neidlos anerkennen, bleibt es Unterhaltung auf hohem Niveau, mitten ins Herz der Zielgruppe, ohne Abweichungen, mit bester handgemachter Aktion, der die Mühe und Freude anzumerken und zuzuschauen einfach Spaß macht. Einnahmeseitig funktioniert der Film aktuell an den Kinokassen bestens, auch wenn sich das Studio wohl mehr erhofft hätte. In Summe im Vergleich zu James Bond durchaus eine moderne und feine Alternative, wenn auch kommerziell noch nicht ganz so erfolgreich.
Mersaw