25. Oktober 2018

Klingt ja auch knackig und sympathisch, passt oder weichgekocht?

Kritik, Pro & Contra »Das schönste Mädchen der Welt«
Klingt ja auch knackig und sympathisch, passt oder weichgekocht?

»Cyrano de Bergerac« meets »Fack ju Göhte« meint der Verleih. Die Redaktion des Kinokalender Dresden sieht das etwas differenzierter.

 

Pro:

Oh, wie die Zeiten sich doch ändern: War Heike Makatsch als Viva-Moderatorin Mitte der 1990er Jahre noch eine, wie es heute heißt, „Influencerin“ der Jugendkultur, darf sie nun deren Kryptonit spielen – als genervte Lehrerin Frau Reimann, die ihre (vor-)lauten Schüler während einer Klassenfahrt kaum unter Kontrolle halten kann. Ja, Frau Reimann, ich fühle mit Ihnen! Diese Kids sind eine Zumutung. Allerdings gar nicht mal so blöde, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat.

 

Ehrenmann und Regisseur Aron Lehmann hat sich mit seinen beiden Buddies Judy Horney und Lars Kraume den Klassiker „Cyrano de Bergerac“ vorgenommen und einem krassen Remix unterzogen. Den Verliebten mit der großen Nase gibt es immer noch, seine poetischen Zeilen verschickt er nun jedoch via WhatsApp – und in Form von Rap-Songs, die er von einem hohlen Schönling vortragen lässt. Die Angebetete lässt sich davon prompt einwrapen und verknallt sich in den Lauch, ohne zu ahnen, dass es in Wahrheit ihr BFF ist, der ihr da musikalisch seine Gefühle offenbart.

 

Erster Impuls nach ca. zehn Filmminuten: Kinder, ihr wascht euch den Mund sofort mit Seife aus! Was sich die Jungs und Mädels da auch abseits von Rap-Battles um die Ohren hauen, gibt einen ziemlich guten (und erstaunlichen) Eindruck davon, wie Kommunikation – und Mobbing – bei den Teenies von heute funktioniert. Im Gegensatz zum Stereotypen-Auflauf bei »Fack ju Göhte« haben die zu hörenden Beleidigungen in »Das schönste Mädchen der Welt« jedoch Konsequenzen für alle Beteiligten. Das ist weder wack noch lan, sondern schlicht gutes Drehbuch-Handwerk.

 

Interessant übrigens, diesen Streifen inmitten der Zielgruppe zu sehen. Ist der Kinosaal gewöhnlich von Handy-Displays erleuchtet, scheinen Tempo, Witz und Kreativität die Igers und Applers im Publikum anzusprechen und zumindest so lange zu fesseln, bis der Popcorn-Eimer aufgefüllt und/oder die Blase entleert werden muss. Lehmann & Co. haben sich aber auch Mühe gegeben: Die Songs bieten fette Beats und sprachlich-verspielte Lyrics, die Dialoge Sprachwitz und mitunter schmerzhafte Wahrheiten, die Umsetzung präsentiert sich mutig und ideenreich. So tänzeln die beiden coolen Hauptcharaktere Cyril (Aaron Hilmer) und Roxy (Luna Wedler) – sind das urst geile Namen oder was? – während eines langweiligen Museumsbesuchs musicalmäßig durch die Ausstellungsräume, während Aufpasserin Frau Reimann ihren ganz persönlichen »Romeo & Julia«-Moment mit ihrem Kollegen hat. Noch so ein schöner Verweis auf die Zeit, in der Makatsch selbst so was wie ein It-Girl war.

 

Überhaupt dürfen „die Alten“ in »Das schönste Mädchen der Welt« nicht nur rumbrüllen und entnervt mit den Augen rollen, sondern selbst zeigen, dass sie mal hip waren bzw. versuchen, es noch immer zu sein. Cyrils Eltern beispielsweise, kongenial verkörpert von Anke Engelke und Heiko Pinkowski, sollten definitiv einen eigenen Film bekommen, in dem sie mit ihren Verwandten im Geiste, den Erziehungsberechtigten aus »Juno« (2007) und »Einfach zu haben« (2010) bei Wein und Joints zusammensitzen. Ja, das war übrigens Schleichwerbung. Die zwei genannten Teenie-Komödien sind dem »Schönsten Mädchen der Welt« stilistisch nämlich nicht unähnlich.

Passt, würd‘ ich sagen.

Csaba Lázár

Contra

Schöne Verleihzeile – „»Cyrano de Bergerac« meets »Fack ju Göhte«“, klingt knackig und sympathisch. Also ran an die Jugend und mitten rein ins fröhliche Jugendleben. Dazu noch in Berlin, das klingt doch alles super. So hat der Kinosaal anfänglich auch jede Menge Freude. Rasant und frech geht es aus dem öden Familienalltag in den Bus und flugs rein in die schmutzige Großstadt, deren wollüstiger Klang allen auf der Zunge liegt. Bis hierher hält der Film alles, was so vollmundig versprochen war. Super Schauspieler, junge unverbrauchte Gesichter und alte Bekannte, bissl Hip-Hop, Underground, anregende Bilder und Schnitte. Alles bestens sozusagen.

Doch plötzlich wird es ernst, der Film verliert sein Tempo und sein sympathisches Personal. Alle Rollen, ausnahmslos alle erhalten einen Filter, und heraus kommen die guten und coolen und die anderen. Leider muss man wirklich so hart sagen, das sind die Bösen und echt Unterbelichteten. Cyril und Roxy dürfen das Traumpaar geben, für die anderen bleiben nur die Rollen des ganz fiesen Aufreißers (Benno), der Pfeife (Cem), des Schönlings und Hohlkörpers (Rick) und der beiden Obertussis (Lissi und Titti). Abgerundet das alles mit einer dauerentnervten Lehrerin Frau Reimann - tut Heike Makatsch sich mit der Rolle einen Gefallen? - und einem Herrn Schüssler, bei dem man sich fragt, welche Rolle er in diesem Film eigentlich spielt.

 

Klar, eine Komödie muss übertreiben und schöpft seine Kraft aus einer überhöhten Darstellung. Aber hier kippt die Handlung zum anspruchslosen Drama, Figurenschablonen säumen den Weg der beiden Protagonisten bis zum Happyend. Ok, garniert mit flotten Sprüchen, WhatsApp Einbindungen und dem Verweis auf einen populären französischen Briefroman macht das einen höhenwertigen Eindruck und täuscht Tiefe vor. Aber leider ist hinter der Fassade nicht viel los. Besonders Damian Hardung muss die Figur Rick spielen, dass es einem persönlich wehtut. Denn da ist gar nichts, weder Tragik, nicht einmal Komik, geschweige denn Gefühle oder so etwas.

 

Als Zugabe gibt es zu den Beats des Undergrounds einen, auch das ist leider nicht sehr passend, sehr Charts kompatiblen Soundtrack. Auch Kamera und Schnitt wechseln nach der Hälfte ins Dramatische und der Film versandet irgendwo zwischen hübschem Berlinfilm und passablem Jugenddrama.

 

Fazit für mich, aus einem hervorragend angelegten frechen Film wird ein fürs TV-Abendprogramm weichgekochtes Drama. 

Damit wären wir wieder beim Ausgangspunkt. Der Vergleich mit »Fack ju Göhte« macht es deutlich, dort herrlich überdrehter, teils anarchischer Spaß mit Akteuren, die überziehen, aber niemals eine Figur denunzieren und ein anhaltender Spannungsbogen mit augenzwinkerndem Ende. Dagegen polarisiert »Das schönste Mädchen der Welt« völlig unnötig. Junge Menschen werden als völlig sinnbefreite, konsumgeile Labertaschen vorgeführt und die Geschichte zu einem selbst für Hollywood nicht mehr zeitgemäßen Finale geführt. Also klarer Sieg für »Fack ju Göhte«. Auch an der Kinokasse. Denn der Zuschauer und vor allem die Jugend ist nicht doof. Und Pubertät ist nun mal ein krasses Drama, das nur schwer komisch und ansprechend zugleich umzusetzen ist. 

Hier muss aber auch einschränkend angemerkt werden, dass die Latte mit diesem Vergleich sehr hoch liegt. Im Vergleich mit der Mehrheit aktueller Produktionen sticht »Das schönste Mädchen der Welt« auf alle Fälle hervor (auch an der Kinokasse). 

Abschließend sei noch mal eine Lanze für den Verleih gebrochen. Tobis, ein traditionsreicher mittelständischer Verleih, hat aktuell zahlreiche deutsche Filme im Angebot, deren Vielfalt und Qualität für sich spricht. Neben »Das schönste Mädchen der Welt« sind das »Die Unsichtbaren – Wir wollen leben« über jüdische Berliner, die während des Dritten Reiches im Untergrund überlebten und ab November »Der Trafikant«, den verfilmten Bestseller über Sigmund Freud.  

 

Mersaw 

https://tobis.de/film/das-schoenste-maedchen-der-welt