Helden-Stoff, total distanzlos? - Pro & Contra » Gundermann«
Dresen spannt scharf die Gitarrensaiten und fädelt an 18 Songs seinen Film auf. Großartiger Film, oder ist er nur gefangen in seinem Helden-Stoff, total distanzlos, ohne künstlerische Übersetzung, Verfremdung, einem eigenen Zugriff? Unsere Autoren scheinen verschiedene Filme gesehen zu haben.
Pro
Gerade jetzt, als wir groß genug war'n und glaubten, das Gras sei nun endlich hoch und wild und grün, kommen Dresen & Scheer, Gundermann & Stieler und schwingen ihre Sensen. Öffnen ganz weit die bemalte Kinderzimmertür und reißen ihre Klappe auf, weil sie etwas zu sagen haben. 12 Jahre baggerte Andreas Dresen für seinen Film tonnenweise Abraum zur Seite, Alexander Scheer wuchs ins blau gestreifte Hemd und Drehbuchautorin Laila Stieler verwarf fast ein Dutzend Fassungen, weil Conny Gundermann ihr immer wieder das Herz öffnete. Alle mussten sie noch einmal über Gundi reden. 20 Jahre, nachdem er für immer davon flog, wollten sie dem Land, das seine Dichter nicht ehrt, ein wenig unter die Arme greifen. Und holten die allzu oft geflickten Flügel noch mal vor. Und bekamen von jedem Tag Arbeit am Film ein Lachen, einen Sieg, eine Träne, einen Schlag in die Fresse. Nun sind wir an der Reihe.
Gleich zu Beginn schließt sich der Kreis, der seinen Anfang 1992 in einer kleinen Küche in Meißen nahm, als mir ein Bekannter mit leuchtenden Augen „Gras“ vorspielte. „Wer ist Gundermann“? höre ich mich sagen. Wenn Gundi seiner Seilschaft „Gras“ vorspielt, ist er Mitte Dreißig, wird gerade Vater und schuftet schon eine halbe Ewigkeit in der Braunkohle. Auf der Nase sitzt dieses Drahtgestell, hinten wippt das Zöpfchen überm blauen Hemd, fertig ist das Hier & Jetzt. Die erste Runde geht an Dresen. Mehr noch an Alexander Scheer (neuer Ehrenbürger von Hoywoy). Gundi lebt. Er schlurft, schnieft und knödelt Lausitzer Mundart und reißt sich dabei das Filmkorsett vom Leib; man spürt sofort Dresens Handwerk. Wo Übergänge fließen, richtige Menschen aus den Büchern steigen. Gundi, das Haar jetzt wilder, die Brille mit Hornrand, sitzt bei Conny am Kindbett. Hier ist er Anfang Zwanzig, wild verknallt. Und lädt uns ein, es ihm gleichzutun; Anna Unterberger für immer ins Herz zu schließen. Für sie schreibt er heimlich Lieder. Für die Stasi Berichte.
Dresen spannt scharf die Gitarrensaiten und fädelt an 18 Songs seinen Film auf. Alles ist ja da, also greif die Akkorde. Immer wieder schnappen sich ein paar Textzeilen die vorige Szene, ein Refrain beginnt hier und führt ins Damals, Probenarbeit schleift Texte, Live-Auftritte nehmen einem die Luft. Oder eine „Kleine leise Traurigkeit“ packt zwei Männer bei der Gurgel, während Conny die Bügelwäsche macht. Viele Jahre haben uns Gundis Lieder gewärmt, jetzt sehen wir, welche Mühsal der Mann sich dafür jeden Tag vom Leib geschuftet hat. Wäre es nicht schon da, man müsste das Bild vom Tagebau, vom Abraum, von der Kohle und der Hitze in den Öfen der Republik für diesen Film erfinden. Und wäre Andreas Höfer nicht schon Dresens Leib-Kameramann, man müsste ihn glatt engagieren. Ihn, der mit Gundi bereits 1988 in Spreetal »Das traurige Lied vom sonst immer lachenden Flugzeug« bebilderte.
Der wilde Tanz aus Verdrängung und Erinnerung führt Gundi bald zu Jenen, die er als IM Grigori verraten hat. Naive Sorglosigkeit bringt er mit als Schutzschild. Ihn entschuldigen können nur die Betroffenen. Der Einzige, der es tut, hatte ihn selbst bespitzelt. Als es Gundi gelingt, seine Täterakte zu lesen, fühlt er sich doppelt betrogen. Von dem Land, das er in jedem Winter treu gewärmt hat, und von sich selbst. Dem er das nie verzeihen kann. Oh ja, Sachzwänge fressen Menschenfleisch. Und Ideale. Hier taucht Dresen seine Hand in den Zaubertrank. Und vollbringt das Unvorstellbare; ein Mann begegnet seinem 20 Jahre jüngeren Selbst. Von Angesicht zu Angesicht, mit offenem Visier, lass uns kämpfen wie Männer. Zeig her die Ideale. Der Sieger kriegt einen Malzkaffee.
Jahrelang glänzte die Figur Gundermann wie pures Filmgold in der Sonne, ein Wunder, dass Filmemacher auf der Suche nach gebrochenen Helden diesen Mann immer wieder ignorierten. Klar, bei den Mitstreitern von einst rennen Dresen & Conny offene Türen ein. Bei Gundis Fans sowieso. Den Bewahrern seiner Lieder im In- und Ausland stärken sie den Rücken, aber erzählen wollten sie ja auch von dem Land DDR, das sich einst selbst fort gebaggert hat. Wie war also die DDR? Frag mich nicht wie, frag mich nicht wann; 's ist doch nur'n Film, aber mit'm Film fang ich erst mal an...
Contra
Es hat den Anschein, Regisseur Andreas Dresen wollte den Baggerfahrer und Liedermacher Gerhard Gundermann originalgetreu wieder aufbauen, ungefähr so wie das in Dresden mit der Frauenkirche passiert ist. Alexander Scheer hat dafür Äußerlichkeiten Gundermanns studiert, die spezielle Art, die Nase hochzuziehen, die Brille zu rücken, die fahrigen Bewegungen. Scheer macht das brillant, er ist der perfekte Gundermann-Imitator. Man hätte aber lieber Alexander Scheer gesehen, der Gundermann spielt. So bleibt er bei aller Hingabe eine Kopie. Er kann nicht spielen, weil er diese Ticks vorführen und dazu ständig sprechen muss. Gefangen in seinem Helden-Stoff, total distanzlos, ohne künstlerische Übersetzung, Verfremdung, einem eigenen Zugriff. Was ist Andreas Dresen da passiert?
Man sieht keine innere Not, keine Zerrissenheit. Dresen installiert Gundermann gleich als so besonders, so Guru, dass er keine Entwicklungsmöglichkeiten hat. Die Regie reproduziert bekannte Szenen aus seinem Leben, die Rettung eines Igels, die familiären Verknotungen, die Arbeit an der Musik und im Tagebau und natürlich die Konzerte. Alles wird überdeutlich auserzählt und gezeigt. Die Bilder illustrieren die Texte und umgekehrt. Wenn Gundermann von Blättern singt, rennt seine Freundin durch den Wald. Wenn sich in Gundermanns Kopf alles im Kreis dreht und er das in Worte fast, dreht sich im Film auch der Bagger. Danke, ja, hab’s verstanden.
Der Film verzwergt mit seiner Eineindeutigkeit nicht nur die Poesie Gerhard Gundermanns. Sein Bemühen um maximale Authentizität macht die Figuren klein und hölzern bis zur Karikatur. Das Set setzt der Illustrationswut noch eins drauf. Milan Peschel etwa sitzt als alkoholabhängiger ehemaliger IM in einer mit Flaschen vollgestellten Bruchbude. Ein Wasserglas hätte es auch getan. So kann Peschel nix mehr spielen.
Die Aneinanderreihung von abgebrauchten Bildern nervt. Die Liebesszene. Der Kuss davor, Schnitt, das Laken, nach dem Koitus, auf dem erzählt Gundi seiner Conni den Vater-Sohn-Konflikt, der alles, alles erklärt: der kleine Gerhard, der die Pistole des Vaters mit auf den Spielplatz nimmt, der Vater, der dafür vor Gericht kommt und verurteilt wird. Verständnis in Connis Augen. Auf ein kurzes glückliches Lied-Intermezzo der Verliebten folgt sogleich der Tod des Vaters. Und die Aufarbeitung. Alles so deutlich und zweihundertprozentig, dass kein Raum bleibt für eigene Bilder und Deutungen.
Was Gundermann zum Getriebenen mit irrem Überforderungsprogramm machte, sein Singen und Baggerfahren im 3-Schicht-System, das Ringen, die eigenen Ideale mit der stumpfen Realität der DDR überein zu bringen, die Ohnmacht, dem Ausverkauf der DDR nach 1990 ausgeliefert zu sein, all das zeigt der Film durch eine DDR-3D-Brille. Andreas Dresens Blick ist nostalgieverhangen, sein »Gundermann« ein Denkmal. Kein Mut zur Lücke, zur Improvisation, der Raum für Fragen lassen würde. So schade das.