7. Juni 2013

Blaue Kissen, schwarze Löcher

Im PK Ost »Take This Waltz« gucken
Blaue Kissen, schwarze Löcher
Die Cineasten haben schon entschieden, dass es sich bei »Take This Waltz« um einen „Film über die Liebe“ handelt, keineswegs um einen schnöden Liebesfilm. Großer Unterschied. Ich habe »My Week with Marilyn« verpasst und überhaupt jeden Film mit der schon reichlich Oscar-nominierten Michelle Williams, obwohl seinerzeit alle über »Blue Valentine« sprachen, von »Brokeback Mountain« ganz abgesehen und jetzt ist es gefühlsmäßig höchste Zeit. Außerdem zittern Williams Babyspeckbäckchen im Trailer so hinreißend. Widerstand zwecklos. Männer allerdings kriegen, Michelle hin oder her, mächtig lange Zähne bei dieser Kinoanfrage, ein Autorenfilm, ach nein. Das wird dann wohl ein Frauenabend.

Also mit Freundin unterwegs ins Ost, zur Einstimmung haben wir Mädels im Auto Sparkys 1999er Coverversion von Wanda Jacksons „Funnel of Love“ (1961) gehört. Sarah Polleys Soundtrack hingegen ist aus einer anderen Dekade. „Video Killed the Radio Star“. Die „Buggles“ haben ihn 1979 aufgenommen im Geburtsjahr der Regisseurin, keiner kennt die Band, aber jeder das „Oh-a oh“ des Refrains. Es klingt wie „Aua Aua“ und darum geht’s schon sehr in »Take This Waltz«. Liebe ist wie Zahnschmerzen, besonders gegen Ende hin, falls es denn ein Ende gibt. Michelle Williams trägt Sehnsüchte durch Toronto, ihre Margot rennt durch die heiße Stadt und versucht am See, im Schwimmbad und auf den kühlen blauen Kissen des Ehebetts das Begehren nach dem anderen Mann abzuschütteln, der nicht mehr ist als eben das: anders. Dabei trägt sie leuchtend blaue Klamotten, wild gemixt mit tiefroten Details, ihr Ehemann kocht in einem fort safrangelbe Hühnchen und der Liebste spannt sich vor eine beunruhigend grüne Rikscha. Es ist ziemlich heiß in diesem Film, das Glas Rotwein im Kino fast so warm wie der Spätsommer in Toronto, aber der schüchterne Mann an der Kasse hat eine besonders herzliche Art, auszuschenken.

Apropos Wein: „Es gibt halt im Leben irgendwann mal ein Loch.“, bringt es Margots alkoholabhängige Schwägerin an strategisch wichtiger Stelle auf den Punkt. „Renn nicht gleich los und füll es mit irgendwas.“ Das Loch in Margots Leben ist groß und es ist so seltsam, weil ihr nichts zum Glücklichsein fehlt. All die Knallfarben, vor deren Hintergrund sich ihre Sehnsucht entfaltet, können diese erstaunlich schwarze Lücke nicht verdecken. Wie ein prall gefüllter Obstkorb sollte „Take This Waltz“ aussehen, so Sarah Polley. Vor dem dunklen Hintergrund der „Lücke“ spielt sie mit der Magie der Farben. Michelle Williams ist von Kopf bis Fuß Komplementärkontrast – hie die beeindruckend blonden Armhärchen, da die türkis lackierten Fußnägel. Wer so farbenfroh unterwegs ist, darf eigentlich nicht unglücklich sein. Aber Sehnsucht findet immer statt. Daniels blaue Kissen helfen genauso wenig wie die von Lou. Das Loch ist eher noch schwärzer geworden. Der Walzer ist getanzt, die freie Liebe zelebriert und nun gibt es Muffins statt Hühnchen. „Take This Waltz“ ist eher ein Lebensgefühl als eine Lovestory und vor allem der perfekte Farbfilm.
Grit Dora