Eine Last, die zu erdrücken droht

Die Schauspielerin Greta Gerwig versucht sich bei Lady Bird erstmals als alleinige Regisseurin. Gar nicht mal so schlecht, findet die Redaktion des Kinokalender Dresden.
Pro
Das Genre des amerikanischen Teenie-Films, so es denn diese Schublade überhaupt gibt, hat in den vergangenen Jahren, ach was schreib’ ich, eigentlich schon immer sehr viel ertragen müssen. Oft reduziert auf das hormongesteuerte Verhalten der Protagonisten, pendelt die Thematik vornehmlich zwischen peinlicher Sexklamotte und schwerfälliger Melancholie. Wenn nun also mehrere Rezensionen behaupten, Lady Bird sei ganz anders als die üblichen Filmchen, in denen ein 17-jähriges Mädchen im Mittelpunkt steht, ist das ein Statement, das aufhorchen lässt – und das Werk erfreulicherweise ziemlich treffend charakterisiert.
Zu verdanken ist dies der Aktrice Greta Gerwig, dem Liebling des amerikanischen Independent-Films und Spezialistin für Frauenfiguren, die stets ein klein wenig neben der Spur agieren, mit ihrer entwaffnenden Natürlichkeit aber schnell Begeisterung wecken. So gesehen u.a. in Frances Ha, Lola gegen den Rest der Welt, Mistress America und Maggies Plan. Nun ist sie hinter die Kamera gewechselt, verfilmte mit Lady Bird ein eigenes Drehbuch – und durfte sich sogleich über fünf Oscar-Nominierungen freuen.
Zwei davon erhielten Hauptdarstellerin Saoirse Ronan alias Christine alias Lady Bird, und Laurie Metcalf, die Christines Mutter gibt. Ein bemerkenswertes Duo, das sich wahlweise anfaucht, annähert, emotional diskutiert oder mit Schweigen straft. Eine wahre Hassliebe also, der Gerwig sowohl witzige als auch ernste Momente abgewinnt und so den beinahe minütlich wechselnden Gemütszustand eines pubertierenden Teenagers punktgenau beschreibt. Gerwigs Trumpf: Ihr gelingt es, für beide Seiten Verständnis zu wecken – wer beim Zuschauen zusammen mit der genervten Lady Bird die Augen verdreht, wird ebenso den Argumenten der Mama kopfnickend zustimmen.
Lady Bird ist voll von Momenten, die aus der Sicht eines Teenagers von epochaler Bedeutung sind, nicht wissend, wie viele davon im weiteren Leben noch folgen werden. Diese Naivität und Erwartungshaltung ans Erwachsensein dürfte jeder wieder erkennen. Sich aber nicht darüber lustig zu machen, ist die große Kunst dieses Films. Wenn Christine nach und nach klar wird, dass ihre Vorstellung vom „anders-sein-als-der-Rest“ gar nicht so außergewöhnlich ist und eher das Klischee erfüllt, interpretiert Gerwig dies nicht als Scheitern. Vielmehr als liebevolles Bekenntnis zu Lady Birds (und ihrer persönlichen) Heimat Sacramento, aus der anfangs alle aufgrund des Provinzcharakters fliehen wollen, später genau deswegen aber um so mehr schätzen.
Ja, Lady Bird ist tatsächlich nicht der übliche Schmonz, der sich unter dem Etikett Teenager-Film versteckt. Inwieweit Gerwig die hier gezeigten Qualitäten als Filmemacherin auch in andere Genres übertragen kann, wird sich hoffentlich in den nächsten Jahren zeigen. Vielleicht mit einem Remake von Wonder Woman? Gäbe dem ganzen Superhelden-Gedöns sicher ein paar neue Impulse.
Csaba Lázár
Contra
Es ist ein wenig schade, dass das Regiedebüt von Greta Gerwig ein solcher Nimbus umgibt: fünf Oscar-Nominierungen und diverse Auszeichnungen, darunter der Golden Globe Award, die Lady Bird zu erdrücken drohen, denn mit diesem Wissen im Gepäck sieht man einen kleinen, eher stillen Film über das Erwachsenwerden – nicht weniger und nicht mehr.
Die 17-jährige Christine McPherson (Saoirse Ronan) nennt sich Lady Bird und will dringend raus aus Sacramento. Sie empfindet nur die Miefigkeit der Kleinstadt, in der sie aufgewachsen ist. Den Vorzügen Nordkaliforniens kann sie nichts abgewinnen, es ist schön – na und? Lady Bird will an die Ostküste, dahin, wo nach ihrer Vorstellung hinter jedem Baum Künstler und Intellektuelle wachsen. Der Lebensweise ihrer Eltern will sie verständlicherweise entfliehen – die Mutter schiebt harte Doppelschichten in der Psychiatrie, um die Familie durchzubringen, der Vater ist gerade arbeitslos geworden, mit Mühe halten die beiden die Standards der unteren Mittelschicht aufrecht, bringen Christine, ihren Bruder und dessen Freundin durch.
Letztere verhalten sich angepasst und bringen wenig Verständnis für Lady Birds unbändigen Freiheitsdrang auf – sie macht es ihnen durch ihre Angriffslust auch nicht leicht. Ihrem anarchischen Potential begegnet am ehesten der Vater mit Verständnis, weil er am durchlässigsten ist für Lady Birds Energie.
Die Mutter (Laurie Metcalf) hingegen, eine ebenso kraftvolle Persönlichkeit wie die Tochter, gibt ordentlich Contra und versucht dem aufmüpfigen Kind auf den letzten Metern vor dem 18. Geburtstag noch ein paar elementare Regeln, etwas Geschmack (die Ballkleider!) und ihren Blick auf die Realität aufzuzwingen – natürlich kann sie damit nur scheitern. Der Fokus des Films liegt auf diesem Mutter-Tochter-Konflikt. Das Ringen der beiden mit- und umeinander lässt nicht kalt. Man kann ihren Impulsen unmittelbar folgen, der Schwierigkeit loszulassen ebenso, wie dem Drang aufzubrechen. Die Räume spiegeln das erdrückende Kleinstadtgefühl, dem Lady Bird entkommen will – das elterliche Haus ist viel zu klein für die Menschen, das Bad immer besetzt. Dort wird Wichtiges verhandelt, finden vertrauliche Gespräche statt, es ist der einzige Rückzugsort, auch für Mutter und Tochter.
Lady Bird rennt nicht weg, sie sucht die Konfrontation, rastet aus, versucht auch immer wieder mal, den Ball flach zu halten und bekommt am Ende wirklich, was sie will – um festzustellen, dass man sich überall mit hinnimmt – die Kleinstadt bleibt im Gepäck, als Ballast wie als Basis.
Greta Gerwigs Film ist eine differenzierte Coming-of-Age-Geschichte, die viele Elemente aus Gerwigs eigener Biographie enthält. Der Beginn ist ein echter Kracher, wenn Mutter und Tochter in der einen Sekunde noch beim Hörspiel (John Steinbecks „Früchte des Zorns“) vereint sind und Lady Bird in der nächsten Sekunde aus dem Auto springt, weil sie Mutters Sticheleien satt hat.
Leider verdirbt der vordergründige versöhnliche Schluss die Authentizität und Ruppigkeit der Geschichte. Lady Bird erwacht nach ihrer ersten durchzechten Nacht in New York im Krankenhaus, rappelt sich auf, besucht einen Gottesdienst und ruft anschließend ihre Mutter an, um ihr eine Liebeserklärung zu machen. Ach, echt jetzt? Da kommt das unangenehme Gefühl auf, dass die katholische Schule in Sacramento doch ganze Arbeit geleistet hat – Christine, die sich plötzlich auch wieder so nennt, hat die Früchte des Zorns mit ihrem Aufbruch in die Großstadt allzu schnell aufgebraucht.
Grit Dora