8. November 2011

Pro und Contra »The Tree of Life«

Hanebüchener Quatsch oder anspruchsvolles, philosophisches Kino?
Pro und Contra »The Tree of Life«
An »The Tree of Life« scheiden sich die Geister – auch in der Redaktion des Kinokalender Dresden.

Pro:
„Wir empfehlen unseren Gästen, sich vor dem Kauf einer Eintrittskarte für ‚The Tree of Life‘ über den Film zu informieren. Wer sich danach dafür entscheidet, sollte vorurteilsfrei und offen hineingehen.“
Nach Protesten und Unzufriedenheit seitens einiger Gäste sah sich eine amerikanische Kinokette dazu veranlasst, diesen Hinweistext in den Foyers seiner Häuser anzubringen. Belustigend und erschreckend zugleich. Ist uns etwa die Bereitschaft für Kino abhanden gekommen, das sich traditionellen Erzähl- und Inszenierungsstilen des Filmemachens konsequent verweigert, dass es solcherlei Warnungen braucht? Oder hat sich Regisseur und Autor Terrence Malick (»Der schmale Grat«, »The New World«) diesmal tatsächlich übernommen?

Ich tendiere zu Ersterem, obwohl die Kritik zunächst durchaus gerechtfertigt scheint. Weder Trailer noch Flyer zum Film lassen erahnen, was den Zuschauer in fast zweieinhalb Stunden erwartet. In kaum fassbare Bilderwelten eingebettet, die einen Bogen spannen vom Ursprung des Universums bis hin zum Jüngsten Gericht, skizziert »The Tree of Life« das Erwachsenwerden eines Jungen, beginnend in den 1950ern in Texas. Hin- und hergerissen zwischen mütterlicher Güte einerseits und den strengen Regeln des Vaters andererseits, versucht er seinen Weg zu finden, grübelt viele Jahre später jedoch noch immer über den Sinn seines Daseins.

Es ist mutig und in den Augen einiger sicherlich auch vermessen, existenzielle Themen, wie sie Malick hier aufgreift, in einen Film zu packen, der vornehmlich unterhalten soll. Noch dazu, wenn Malick weder eine stringente Handlung noch irgendeine Art von Erklärung für seinen visuellen Ritt durch die Zeiten liefert. Das hat sich bisher nur Stanley Kubrick gewagt, als er »2001 – Odyssee im Weltraum« inszenierte. Auch dieses Werk stellte einst mehr Fragen, als ein Film beantworten kann (und sollte), insofern ist Malick in guter Gesellschaft.

Es wäre allerdings ein Fehler, dem Regisseur Gleichgültigkeit gegenüber seinem Publikum zu unterstellen. Der Verzicht auf die klassische Struktur verleiht dem Film Spannung durch Unvorhersehbarkeit, die schlichtweg atemberaubende Kameraarbeit von Emmanuel Lubezki lässt staunen, während die wenigen Dialoge und Familienszenen präzise die Einflüsse verdeutlichen, die jedes Wort, jede Handlung, jedes Erlebnis in der Kindheit auf die Seele eines Menschen haben kann.
Regiekollege Christopher Nolan kommentierte Malicks Arbeit in einem Interview folgendermaßen: „Oftmals gibt es im Film eine natürliche Trennung des Visuellen vom Inhaltlichen. Bei Malick hingegen existiert zwischen beidem eine untrennbare, essenzielle Beziehung zueinander.“ Ergo: Was wie ein undurchsichtiges Wirrwarr aus losen Szenen wirkt, bekommt durch die optische Einbettung in das Werden der Erde eine Wucht, die mitreißt, beschäftigt und im besten Fall noch Tage später präsent bleibt. Vorausgesetzt, man akzeptiert »The Tree of Life«, den diesjährigen Gewinner der Goldenen Palme von Cannes, als Denkanstoß eines Regisseurs, der bereits seit 40 Jahren versucht, die menschliche Existenz filmisch zu ergründen und zu verstehen.

»The Tree of Life« ist nicht das Ende dieser Suche. Aber in meinen Augen einer der außergewöhnlichsten Filme, die in dieser Zeit entstanden sind.

Csaba Lázár

Contra:

Als ich las, dass »Tree of Life« in Cannes mit einer Goldenen Palme als bester Film des Festivals ausgezeichnet wurde, war ich schon ein wenig neugierig und schliff meine müden Knochen früh um zehn quer durch unsere geliebte Hauptstadt in das beste Kino, in dem ich jemals war. An dieser Stelle endete aber auch schon der positive Abschnitt dieses Vormittags.

Was mich die nächsten rund zwei Stunden beschäftigen sollte, lässt sich nicht anders beschreiben als „überfinanziertes Arthouse-Ghetto“, „experimentelle Zeitverschwendung“ oder „ein Attentat auf meine Arbeitszeit“. Ich meine, es spricht nichts dagegen, die festgetretenen Pfade Hollywoods mal zu verlassen, grade was Dramaturgie und Storytelling angeht. Insofern wird dieser Film für Brad Pitt, Sean Penn und Co bestimmt eine erfrischender Ausflug ins Land der Pseudo-Indie Filme gewesen sein. Schade nur, dass beide weit unter ihrem Potential gehalten wurden. Pitt spielt einen bipolaren Vater und Sean Penns Rolle scheint im Script wohl als „emotional kaputt und auf einem schlechten LSD Trip“ definiert worden zu sein. Dazu noch zusammenhangs- und semi-bedeutungslose Szenen aus dem gemeinsamen Leben der Beiden und schon passiert es, dass man als Zuschauer eher die Einkaufsliste für den nächsten Supermarktbesuch erstellt, als weiter diesem Flickenteppich an Lebensausschnitten zu folgen.
Aber etwas Gutes hatte die Überfinanzierung dieses Projektes. Gut 15 - 20 Minuten des Films werden mit einem Pseudo-Dokumentarteil über die Entstehung unseres Planeten und des Universums bepflastert. Alles wunderbar gerendert und in HD. Highlight dieser mir geraubten zwei Stunden meines Lebens war sozusagen der am besten gemachte Bio-/Geologie Lehrfilm, den ich je genießen durfte.

Zwar kommt »Tree of Life« in Sachen Zeitverschwendung noch nicht ganz an David Lynch’s zweistündiges Fiebertraumfilmchen »Inland Empire« ran, ist aber verdammt nah dran.

Fakt ist jedoch, dass bei beiden Filmen Journalisten während des Films frühzeitig gegangen sind. Ja, das sind Leute, denen ihre Zeit noch etwas wert ist. Wow, zum Glück hatte ich dafür kein Geld bezahlt. Fazit: Grob zusammenhängendes Szenenpuzzle inklusive hübschem Lehrfilmchen.
Julio Espin

http://www.tree-of-life-film.de