Floria rennt – Petra Volpes Klinikdrama »Heldin« folgt einer Pflegefachkraft durch den atemlosen Arbeitsalltag

Nur im Fahrstuhl kann sie kurz Luft holen, dann hechtet sie wieder über die langen Gänge. Wie sie es schafft, dabei freundlich und zugewandt zu bleiben – einfach heldinnenhaft! Der Arbeitsalltag der Pflegefachfrau Floria Lind (Leonie Benesch) ist von viel zu knappen Ressourcen geprägt, die chirurgische Abteilung des Schweizer Spitals, in dem sie arbeitet, unterbesetzt und überbelegt. Auf Station fällt kurzfristig eine Kollegin aus, Floria ahnt, was das heißt, das Publikum noch nicht so ganz. Man sieht sie bei ihren zahlreichen Tätigkeiten, der Dienstübergabe am PC, dem Verteilen der Medikamente, der Abfrage des Gesundheitsstatus, im aufs äußerste verknappten Informationsaustausch mit den Ärzten. Hier hat niemand Zeit. Es gilt, Patienten zu waschen, zu trösten, oft auch zu vertrösten. Es gilt, Angehörigen Auskünfte zu geben, nach liegengebliebenen Brillen zu fahnden, Patienten OP-fertig zu machen oder aus dem OP abzuholen, wieder Medikamente auszugeben und nebenher auch noch Tee für missgelaunte Privatpatienten zu kochen. Während die Kamera Floria durch die Gänge folgt, gerät man beim Zuschauen unmerklich ins Schwitzen ob des unfassbaren Drucks, der auf der Pflegefachkraft lastet. Der Sog ist so stark, dass es nötig wird, sich daran zu erinnern, dass das hier Kino ist und die wunderbare Leonie Benesch nur eine Rolle spielt. Aber Regisseurin Petra Volpe und ihre Hauptdarstellerin lassen keine Distanznahme zu, gerade weil sie beim Alltag bleiben, keine kinohaften Zuspitzungsmomente zeigen. Und dieser Alltag nimmt mehr mit als ein Thriller. Wann wird Floria begreifen, fragt man sich, dass es unmöglich ist, dieses Pensum zu bewältigen, wann wird sie schreien, alles hinschmeißen und wegrennen? Aber diese junge Frau bleibt freundlich, zugewandt, erträgt Beschwerden, auch Beschimpfungen. Viel mehr setzt ihr zu, wenn sie jemandem nicht ausreichend helfen kann. Und als sie dann doch einmal die Beherrschung verliert und dem Publikum damit einen Moment der Erleichterung verschafft, sammelt sie sich sofort wieder und schafft es, professionell zu bleiben, indem sie bereit ist, die Konsequenzen ihres Handelns zu übernehmen...
Der schlichte Handlungsstrang geht hervorragend auf, indem er sich ganz und gar auf diese junge Frau konzentriert, die die Arbeit von mindestens zwei Personen verrichtet. Eine Heldin des Alltags, eine Klinik-Marathonläuferin, die ein Höchstmaß an Identifikation erzeugt. Wie lange eigentlich können Menschen, die in der Pflege arbeiten, solch ein Pensum durchhalten? Wie fühlen sich Patienten unter diesen Bedingungen? Die Schweizer Filmemacherin Petra Volpe stellt auf feinfühlige Weise brennende Fragen und das Publikum strömt seit über sieben Wochen in die Kinos, dankbar, dass sich da jemand die Mühe macht, den allgegenwärtigen Pflegenotstand in eine feinfühlige und stringente Erzählung zu überführen, ganz dicht heranzoomt, aber immer mit tiefem Respekt. Leonie Benesch zeigt einmal mehr, dass sie in der Lage ist, Filme nahezu komplett allein zu wuppen, was keineswegs die Qualität des Ensembles herabsetzen soll. Aber hier wird eine Einzelkämpferin gezeigt, was konzeptionell hervorragend aufgeht. Die Figur der Pflegefachkraft Floria ähnelt sehr der ambitionierten jungen Lehrerin Carla Nowak, die Benesch in İlker Cataks Oscar-nomiertem Film »Das Lehrerzimmer« (2023) verkörperte. Kaum verwunderlich, dass der Petra Volpes Film mit seinem gleichermaßen brandaktuellen Thema ähnlich erfolgreich ist, darin auch vergleichbar mit Nora Fingscheidts Drama »Systemsprenger« (2019). Diese Filme spielen in ihrer ganz eigenen Liga und man wünschte sich, dass die weiterführenden Schulen ihre höheren Klassenstufen konsequent in die Kinos schicken. Das wäre prima für die Kinos, wie die Jugendlichen, die sich ganz sicher nicht langweilen würden, angesichts dieses rasenden Wettlaufs mit der Zeit, dem hohen Identifikationspotential und nicht zuletzt der kleinen glückhaften Momente, in denen die Heldin hochverdiente Dankbarkeit und Anerkennung erfährt. In letzteren schimmert auch auf, was Menschen bewegen mag, die trotz der krassen Herausforderungen gern in der Pflege arbeiten. So wichtig! Auf ins Kino!
